Urkunde
Text: Gerhard Baumgartner
„Wir, Christof Batthyány, Erbherr der Burg Güssing, geweihter Ritter des Heiligen Römischen Reiches, ... geben bekannt, allen die es wissen sollen, vor allem aber dem Ober- und Vizegespan, dem Kapitänleutnant, den Hofrichtern, den Dreißigstnehmern und Zöllnern und anderen Beamten, Bürgermeistern, den Richtern der Städte und der Dörfer, daß der Woiwode Martin Sárközi, der diesen Brief vorzeigt, und die zu ihm gehörigen Zigeuner nirgends eine feste Residenz haben und gezwungen sind – um das Leben zu erhalten und sich zu ernähren und ihr Handwerk auszuüben – mitsamt ihren Zelten hin und her zu ziehen. Damit diesen Elenden weder unterwegs noch an anderen Orten nirgends durch irgendwelche beamteten Personen Kränkung widerfährt, bitten und ermahnen wir jedermann, die oben Genannten und alle, die es angeht, dass sie den Woiwoden Martin Sárközi und die dazugehörenden zeltbewohnenden Zigeuner weder in ihrem Besitz noch in ihrer Person kränken, noch ihnen durch andere Leid zufügen lassen und sie in keiner Weise zu Diensten anhalten. Niemand soll sie zwingen, sie sollen vielmehr überall, wo sie umherziehen, ihren Beruf frei ausüben. Sie sollen außer diesem Zigeuner Martin Sárközi unter den Zigeunern keinen anderen Woiwoden nehmen, sondern dieser soll ihnen befehlen. Von ungarischer Seite wird Herr Ludwig Gori bestellt, dass er ihr Pfleger und Woiwode sei und die ganze Schar von Wien abhänge. Es wird hinzugefügt, dass sie jährlich im Frühling, am Mittwoch der Karwoche, zu unseren Händen jene 25 Taler Steuer unter strenger Strafe bezahlen, entweder in Geld oder in einem guten Ross im selben Wert.
Rechnitz, am 15. Februar 1674. Graf Christof Batthyány“
Ansiedlungsurkunde von Christof Batthyány 1674
Die so genannte Ansiedlungsurkunde der burgenländischen Roma war wahrscheinlich ein Schutzbrief, den der Grundherr der batthyányschen Besitzungen für die auf seinen Gütern lebenden Roma ausstellte. Der in dieser Urkunde erwähnte Woiwode Martin Sarközi dürfte wohl mit seinen Leuten zum Söldnerheer der Batthyánys gehört haben, wo sie vermutlich als gesuchte Waffenschmiede eingesetzt waren. Dass man samt Familie in den Krieg zog, war damals allgemein üblich, so dass es im Tross des Heeres zahlreiche Frauen und Kinder gab. Im Winter – einer Jahreszeit, in der bis ins 18. Jahrhundert üblicherweise nicht gekämpft wurde – wurden die Angehörigen des Heeres entlassen und durften sich bei Bauern in den untertänigen Dörfern des Grundherrn einquartieren. Auf diese Praxis bezog sich damals wohl auch dieser Schutzbrief. Vermutlich dürfte das Dokument damals im Archiv der Kirchengemeinde zur sicheren Aufbewahrung hinterlegt worden sein, um es vor Verlust, Diebstahl oder Zerstörung zu schützen.
Romabevölkerung
Quellen:
Bundesamt für Statistik (Hg.), Ortsverzeichnis des Burgenlandes. Bearbeitet aufgrund der Ergebnisse der Volkszählung vom 7. März 1923
Verzeichnis der Zigeunerkolonien in den Gemeinden des Bezirkes Oberwart sowie die Kopfzahl derselben. Beilage zu Bericht der BH Oberwart an die Burgenländische Landesregierung betr. Zigeunerunwesen vom 18.9.1924
Verzeichnis A, B und C, BH Güssing, 28.12.1925, BLA I.a.Pol. Zigeunerakt 1938, Mappe 1932; Verzeichnis A, B und C, BH Oberwart, Beilage zu Schreiben BH Oberwart an Amt der burgenländ. Landesregierung vom 8.1.1926 betr. Zigeuner, BLA I.a.Pol., Zigeunerakt 1938, Mappe 1932; Verzeichnis A, B und C, Beilage zu Schreiben BH Neusiedl am See an das Amt der burgenländ. Landesregierung vom 19.1.1926 betr. Zigeuner, BLA I.a.Pol., Zigeunerakt 1938, Mappe 1932; Vgl. Zigeunerverzeichnis, 28.12.1925, BLA zitiert nach: Diss Claudia Maierhofer S. 47 f.
Der Großteil der Oberwarter Romabevölkerung arbeitete in den Sommermonaten als Landarbeiter und Erntehelfer auf den großen landwirtschaftlichen Gutsbesitzungen des Burgenlandes oder bei den größeren Bauern der Umgebung. Frauen und Kinder versuchten, ihren Lebensunterhalt durch das Sammeln von Beeren und Pilzen zu verbessern. In den Wintermonaten arbeiten viele Roma als Wanderhandwerker wie etwa als Scherenschleifer, Kesselflicker, Korbflechter, Besenbinder, Rechenmacher und oft auch als Musiker.
Das Hauptproblem der Romabevölkerung besteht darin, dass sie im Gegensatz zu den ärmsten Bauern und Arbeiter über keinen Landbesitz verfügen. Selbst die ärmsten Dorfbewohner des Südburgenlandes besaßen in der Regel zumindest ein kleines Feld oder einen Garten und ein kleines Stück Wald. Genug, um Gemüse und Kartoffel anzubauen und Holz für den Winter zu machen. Die meisten Roma hatten diese Möglichkeit zur Subsistenzwirtschaft nicht.
Während der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre verschlechterte sich die Lage der Roma dramatisch. Viele Arbeitslose, die in den Städten und Industriegebieten rund um Wien, in Niederösterreich und in der Steiermark ihre Arbeit verloren, kehrten nun in ihre burgenländischen Heimatdörfer zurück und begannen auf den heimischen Bauernhöfen mitzuarbeiten. Dabei verdrängten sie die Roma vom lokalen Arbeitsmarkt.
Die Romabevölkerung verarmte dramatisch. Als verlässlichstes Anzeichen für die Verschlechterung der Lebensbedingungen gilt der Anstieg der Kindersterblichkeit. In den Romasiedlungen des Bezirkes Oberwart stieg die Kindersterblichkeit in den 1930er Jahren auf über 50 Prozent. Das heißt, dass jedes zweite Kind noch vor Vollendung des zweiten Lebensjahres verstarb. Die Oberwarter Roma waren am Verhungern.
Verschärft wurde die Situation noch durch das Fehlen jedweder staatlicher Sozialpolitik. Vielmehr mussten die einzelnen Gemeinden für sämtliche Sozialleistungen ihrer „Gemeindearmen“ aufkommen, ebenso für Kosten der ärztlichen Versorgung und des Unterrichtes der Kinder. Mit der steigenden Verarmung der Roma stiegen die Sozialausgaben der Gemeinden und damit auch die sozialen Spannungen zwischen Roma und Gadje. So genannter „Mundraub“ von Feldfrüchten durch hungernde Roma führte immer öfter zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, ebenso das Einsammeln von Brennholz in den Wäldern.
Romakonferenz
Am 15. Jänner 1933 trafen sich daher die Bürgermeister burgenländischer Gemeinden mit Mitgliedern der Landesregierung und Vertretern sämtlicher politischer Parteien in Oberwart zur so genannten „Zigeunerkonferenz“ in Oberwart, bei der unter Beteiligung von je einem offiziellen Vertreter der burgenländischen Landesregierung, der Christlichsozialen Partei, des Landbundes, der Sozialdemokratischen Partei, des Amtes der Landesregierung, der Landesforstverwaltung sowie der Landesgendarmeriekommandant, des Gerichtsvorstehers des Bezirksgerichtes Oberwart, des Bezirksrichters von Oberwart, des Bezirkshauptmanns, der Bürgermeister und Amtmänner des Bezirkes Oberwart die „Zigeunerfrage im Burgenland“ diskutiert worden war.
Mitglieder der „Zigeunerkonferenz“ in der „Zigeunersiedlung“ Oberwart im Jänner 1933
Grundtenor dabei waren Klagen über die finanzielle Belastung der Gemeinden durch die „Zigeuner“ gewesen, über deren angeblich hohe Kriminalität und über die Unmöglichkeit zur Änderung ihrer Lebensweise aufgrund der „Rasse“ der „Zigeuner“. Bei dieser Konferenz waren die bis dahin radikalsten Maßnahmen vorgeschlagen worden, wie etwa die Deportation der „Zigeuner“ auf wenig besiedelte Inseln im Stillen Ozean (Pazifik), die Einrichtung eines Reservates und die Verabschiedung eines radikalen Zigeunergesetztes. Nur aufgrund der in der Verfassung verankerten Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, konnten diese Sondergesetzte 1933 nicht beschlossen werden. Für eine Änderung der Verfassung wäre eine Zustimmung der Siegermächte des Ersten Weltkriegs notwendig gewesen. Die Oberwarter „Zigeunerkonferenz“ von 1933 war eine der ersten behördlichen Initiative für die verschärfte Verfolgung der „Zigeuner“ in Europa.
Siedlungen
Die meisten Romasiedlungen der Zwischenkriegszeit wurden während der NS-Diktatur zerstört, nachdem man zuvor die Romabevölkerung in Ghettos und Konzentrationslager deportiert hatte. Als einzige Quellen über diese Siedlungen stehen meist nur Fotos zur Verfügung. Dokumente über die Anzahl der Gebäude und über ihre bauliche Beschaffenheit fehlen fast völlig.
Oberwarter „Zigeunersiedlung“ (Der Weg ist die heutige Mühlgasse)
Auch in der Oberwarter Romasiedlung – die sich vor 1938 am nordwestlichen Stadtrand von Oberwart befand, in der Nähe des heutigen EO-Einkaufszentrums – waren die meisten dieser Gebäude als so genannte „Superädifikate“ nicht im Grundbuch eingetragen. Bei einem „Superädifikat“ handelt es sich um ein auf fremdem Grund errichtetes Gebäude. Im Falle der burgenländischen Romasiedlungen bedeutet dies, dass das Grundstück in der Regel im Besitz der Gemeinde oder Urbarialgemeinde war, während die darauf errichteten Häuser den Roma gehörten. Dass man solche „Superädifikate“ auch ins Grundbuch eintragen lassen konnte, dürfte den meisten Roma nicht bewusst gewesen sein. Außerdem war eine solche Eintragung mit Kosten verbunden, die für die völlig verarmten Roma nicht leistbar waren. Nach 1945 sollte sich die fehlende Eintragung der Gebäude als großer Nachteil erweisen. Die aus den Konzentrationslagern zurückkehrenden wenigen Überlebenden konnten nun nämlich nicht beweisen, dass sie jemals ein Haus besessen hatten und erhielten daher auch keine Entschädigung für ihre zerstörten Gebäude.
Zur ersten Romasiedlung in Oberwart liegen kaum behördliche Angaben vor, aufgrund der historischen Quellen kann ihre Entstehung aber auf den Zeitraum zwischen 1857 und 1875 datiert werden.
„Czigánynegyed“ („Zigeunerviertel“) 1911
Ein umfangreicher Bericht des Bezirkshauptmannes von Oberwart aus dem Jahre 1929 gibt nicht nur Auskunft über die Anzahl der ansässigen Roma sondern enthält auch Informationen über die Lebensverhältnisse der so genannten „Zigeuner“.
Durchgehender Tenor des Berichtes war die Warnung vor einer herannahenden „unausbleiblichen Katastrophe, wenn man nicht energisch an die Bekämpfung der in der heutigen Form bestehenden Zigeunerplage herantreten würde.“ Um diese Warnung zu unterstreichen schilderte der Bezirkshauptmann die Situation in den schwärzesten Farben. Bezüglich der Wohnsituation behauptete der Bezirkshauptmann, dass die „Zigeuner“ des Bezirkes Oberwart „in 425 elenden Hütten im Ausmass von circa 1 ½ bis 4 m im Quadrat“ leben, „so dass in einem solchen Raum im Durchschnitt 7 Zigeuner leben“. Der Bericht dramatisiert die Situation und weist in vielen Bereichen schwere Mängel auf.
So erscheint es kaum glaubwürdig, wenn für die Gemeinde Oberwart behauptet wird, hier lebten 218 Roma in 44 Familienverbänden in nur acht Häusern mit 32 Räumen. Schon die historischen Fotos der „Zigeunerkolonien“ in Oberwart zeigen wesentlich mehr Gebäude und auch im Ortverzeichnis von 1923 scheinen bereits 33 Gebäude in der Romasiedlung Oberwart auf. Weiters bezeichnete der Bezirkshauptmann die Häuser der „Zigeuner“ als aus Lehm, Holz und Stroh selbst erbaute, primitive Hütten.
„In den meisten Hütten befinden sich in der Regel bloss eine aus einigen Brettern zusammengezimmerte Pritsche, welche das weibliche Familienoberhaupt benützt, während die anderen Familienmitglieder auf auf [sic!] dem Fussboden ausgebreiteten Stroh oder Lumpen – mit Lumpen zugedeckt oder im Sommer auch unbedeckt oder in der Tageskleidung schlafen. – Die Atmosphäre, die in einer solchen Hütte herrscht ist für Nichtzigeuner geradezu unerträglich.“
Dieser drastischen und verallgemeinernden Schilderung der Ausstattung der Häuser wiederspricht der Bezirkshauptmann selbst in einem anderen Schreiben über die Schilderung der Einkommenssituation der Roma.
„Wenn nun auch tatsächlich ein Grossteil der Zigeuner die Annahme von Gelegenheitsarbeiten der ständigen Arbeit vorzieht, um möglichst ungebunden leben zu können und nicht tagtäglich arbeiten zu müssen, so gibt es recht viele Fälle, dass Zigeuner in kleineren Industrien oder auch in größeren Betrieben jahraus-jahrein in ständiger Arbeit stehen und seitens ihrer Arbeitgeber bezüglich ihrer Verwendbarkeit sehr gelobt werden. – Ihre natürliche Intelligenz und Anstelligkeit (besondere Fähigkeit für Rechnen!) führt zur Verwendung zu oft verantwortungsvollen Arbeiten. – Solche Zigeuner (in deren Familien übrigens auch häufige Blutsvermischungen eingetreten sind) haben es in einer Reihe von Jahren – durch ihren ständigen Verdienst – ermöglicht, sich menschenwürdigere Wohnungen zu bauen – und haben sich auch äußerlich so kultiviert, dass sie nicht mehr als Zigeuner zu erkennen sind – wozu auch die Blutmischung beiträgt – die die Hautfarbe lichter weiß macht.“
Diese – wenn auch rassistisch konnotierte – Schilderung belegt, dass die Häuser und die Ausstattung der Häuser keineswegs durchgehend so schlecht war, wie zuvor geschildert.
"Anschluss"
Die von den Nationalsozialisten beim „Anschluss“ 1938 veranstalteten ekstatischen Kundgebungen in Oberwart versetzte die Romabevölkerung des Bezirkes in Angst und Schrecken. Katharina König, ein Romamädchen aus Oberwart, beobachtete die Aufmärsche mit ihrer Familie von einem nahe gelegenen Hügel aus und beschrieb die Szene in ihren Erinnerungen:
„Ich kann mich erinnern, es war 1938, als die Nazis einmarschierten in Oberwarth. Am Abend ging es erst zu auf der Gemeindewiese, da gingen sie mit Fackeln. Es war in der Finsternis schrecklich zum Ansehen. ‚Wie die Teufeln sehen sie aus‘, sagte der Vater. Sie schreien sich ganz heiser: Sieg Heil! Dann konnten sie gar nicht mehr schreien, sie bibberten (zitterten, Anm.) nur. Ich kann mich noch gut erinnern. Der Vater stand am Berg, von dort aus konnte man ins Tal sehen, wo sie auf und abmarschierten, ohne aufzuhören. Die Haare standen dem Vater zu Berg. Es waren auch Kameraden und Schulfreunde dabei, mit denen er sich immer gut vertragen hatte.
‚Was ist denen nur eingefallen?‘ fragte sich der Vater. Auch die schrieen (sic!) sich heiser. Dann sagte der Vater: ‚Das geht nicht gut aus, denn sie sind wie die Wilden.‘
‚Was machst du dir Sorgen, wir haben doch niemand was getan‘, sagte die Mutter.
‚Ich will hier nicht mehr wohnen, denn das ist unmenschlich.‘
‚Wo willst du denn hingehen?‘
‚Fort von hier, da schreien sie gerade: Nieder mit den Juden und den Zigeunern!‘
‚Na, hast du´s gehört?‘
Dann sah ich, wie der Vater ganz bleich im Gesicht wurde.
‚Pack zusammen unsere Kleider und Schuhe für die Kinder, sonst brauchen wir nichts, nur fort von hier.‘
‚Was, ich soll alles, was wir uns so hart zusammengearbeitet haben, liegen lassen und fortgehen? Ich hab niemand was getan.‘″
Bgld. Zwangsarbeitermodell
Sofort nach dem „Anschluss“ 1938 wurden Roma all ihrer bürgerlichen Rechte beraubt. Ebenso wie die Juden durften sie nicht mehr an der „Volksabstimmung“ über den „Anschluss“ an Hitlerdeutschland am 10. April 1938 teilnehmen. Schon bald darauf wurde ihren Kindern der Schulbesuch untersagt. In Oberwart setzte die lokale Parteileitung der NSDAP die Roma als Zwangsarbeiter an öffentlichen Bauprojekten ein, zum Beispiel beim Straßenbau.
Zwangsarbeit für Roma und Sinti hatte es im Dritten Reich bis dahin nicht gegeben. Die burgenländischen Nazis spielten bei der Verschärfung und Radikalisierung der Verfolgungspolitik gegenüber Roma eine führende Rolle. Oberwart war eine der ersten Gemeinden im Dritten Reich, die diese Zwangsmaßnahme einführte.
1939 wurden zahlreiche Roma als Zwangsarbeiter in Arbeitslager in der Steiermark deportiert, wo sie bei Wasserbau-, Brücken-, und Straßenbauprojekten arbeiten mussten. Solche Arbeitslager befanden sich zum Beispiel in Triebendorf, Unzmarkt, Zeltweg, Kobenz, St. Georgen ob Judenburg, St. Lambrecht bei Neumarkt, Hinterberg, Preg, Laufnitzgraben bei Frohnleiten, Pressnitzgraben und Triebendorf bei Murau. Die Zwangsarbeiter erhielten nur einen Bruchteil ihres Lohnes als Taschengeld ausbezahlt, während der Großteil ihres Verdienstes an die Fürsorgebehörde überwiesen wurde, die damit die in den Romasiedlungen zurückgeblieben Frauen und Kinder versorgen sollten. Dies funktionierte jedoch in zahlreichen Fällen nicht, sodass die Heimatgemeinden der Zwangsarbeiter nun noch mehr Geld für die mittellosen Familienangehörigen aufbringen mussten.
Deportationen
1939 kam es auf Anordnung des Berliner Reichskriminalpolizeiamtes zur Verhaftung und die Einweisung von rund 2.000 arbeitsfähigen Männern und Frauen aus der Gruppe der burgenländischen „Zigeuner“ in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Ravensbrück. Himmler benötigte arbeitsfähige Häftlinge zum Aufbau der SS-eigenen Industrie. In Berlin ging man davon aus, die burgenländischen Roma würden nicht arbeiten, sondern allein von der Fürsorge leben. Das Gegenteil war der Fall. Infolge der kriegsvorbereitenden Rüstungskonjunktur hatten viele Roma nun Arbeit in Industriebetrieben, im Baugewerbe und in der Landwirtschaft gefunden. Sogar der steirische Gauleiter Uiberreither Kritik an den Zigeunerdeportationen kritisierte die Sinnhaftigkeit dieser Verhaftung, wenngleich bei ihm aus rassistischen Motiven am Ende die Zustimmung überwog:
„Obwohl es sich hier um unständig beschäftigte Zigeuner handelt, die weder vorbestraft noch arbeitsscheu sind oder in anderer Weise der Allgemeinheit zur Last fallen, will ich ihre Unterbringung in Zwangsarbeitslagern aus der Erwägung heraus anordnen, dass ein Zigeuner als außerhalb der Volksgemeinschaft stehend stets asozial ist.“
Die Deportationen der Roma in die Zwangsarbeits- und in Konzentrationslager stellten sich schon sehr bald als großer Fehler heraus, denn sie verschlimmerten die finanziellen Belastungen der Gemeinden und der Fürsorgebehörden noch weiter. Im Herbst 1940 kritisierte der Oberwarter Landrat Hinterlechner die Auswirkungen der Deportationen scharf:
„Durch die in der letzten Zeit erfolgte Abtransportierung aller arbeitsfähigen männlichen Zigeuner in Arbeitslager ist die Zahl der hilfs- und unterstützungsbedürftigen Zigeunerangehörigen im Kreise Oberwart nunmehr sprunghaft angestiegen, da durch diese Aktion nun nahezu alle zurückgebliebenen Zigeunerfamilien ihrer Ernährer beraubt sind und somit mit einem Schlag etwa 2.000 Zigeunerköpfe (Erwachsene, Weiber, Kinder) hilfsbedürftig geworden sind. Mithin ist demnach das Gegenteil erreicht worden, was bezweckt werden sollte.“
Oberwarter Roma im Konzentrationslager Buchenwald | Oberwarter Roma im Konzentrationslager Dachau |
Oberwarter Romafrauen in Konzentrationslager Ravensbrück (Datenlage sehr fehlerhaft)
Lackenbach
Zur Behebung dieser Situation empfahl das Reichssicherheitshauptamt in Berlin daraufhin die Einrichtung von Zigeunerlagern, „um den Unterhalt der Familien sicherzustellen und die Gemeinden nach Möglichkeit von den bisherigen sozialen Lasten zu befreien.“ Als wichtigstes dieser Lager wurde am 23. November 1940 das „Zigeuneranhaltelager“ im burgenländischen Lackenbach errichtet. Die Lagerleitung unterstand der Kriminalpolizeileitstelle Wien, die Kosten des Lagers teilten sich die Landräte der Kreise Bruck an der Leitha, Eisenstadt, Lilienfeld, Oberpullendorf, St. Pölten und Wiener Neustadt sowie die Gemeindeverwaltung des Reichsgaues Wien im Verhältnis der aus den Kreisen und Städten eingelieferten Zahl der Häftlinge. Die festgehaltenen Roma und Sinti mussten unter primitivsten Bedingungen in den Ställen und Scheunen eines ehemaligen Guthofes leben. Die Zahl der in Lackenbach Inhaftierten schwankte zwischen 200 und 900, ein Drittel waren Kinder. Am 1. November 1941 erreichte die Zahl der Inhaftierten den Höchststand von 2.335 Personen.
„Zigeunerlager“ Lackenbach im November 1940
Da sich der Kreis Oberwart nicht an der Errichtung des Lagers beteiligte, befanden sich unter den Lagerinsassen von Lackenbach nur wenige Roma aus Oberwart. Einer von ihnen war der 1913 in Oberwart geborene Stefan Narday mit der Lagernummer 596.
Łódz
Am 1. Oktober 1941 ordnete Himmler die Deportation von 5000 Roma und Sinti aus Österreich in das Ghetto von Łódz/Litzmannstadt an. Betroffen waren fast nur Burgenland-Roma. In der Regel wurden ganze Familien deportiert. Die Gemeinden wollten Fürsorgekosten einsparen und nur jene Personen in den örtlichen Zigeunerlagern behalten, die nutzbringend eingesetzt werden konnten. Zwischen dem 4. und 8. November 1941 fuhr täglich ein Zug mit 1.000 Opfern nach Łódz/Litzmannstadt.
Aus dem Bezirk Oberwart wurden über 2.000 Roma in das Ghetto Litzmannstadt deportiert. 1.000 Personen aus dem nördlichen Bezirksteil vom Bahnhof Pinkafeld, oder aber vom wenige Kilometer nördlich gelegenen Bahnhof Sinnersdorf deportiert. In Sinnersdorf befand sich nämlich in Bahnhofsnähe ein Reichsarbeitsdienstlager, das für wenige Tage als Sammellager für die Roma benutzt wurde. 1.000 Personen aus dem südlichen Teil des Bezirkes wurden wahrscheinlich von den Bahnhöfen Rotenturm an der Pinka und Oberwart deportiert. Die meisten der im Jahre 1939 in steirische Zwangsarbeitslager verschleppten Roma wurden in einem Reichsarbeitsdienstlager in Dietersdorf bei Fürstenfeld versammelt und von dort ins Ghetto Litzmannstadt deportiert.
Zugang zum Ghetto Łódz/Litzmannstadt
Die Transporte wurden von je einem Offizier und 20 Wachmännern des Reserve-Polizei-Bataillons 172 begleitet. Die Kosten der Deportation bestritten das RSHA und die lokalen Fürsorgestellen gemeinsam. Von den insgesamt 5.007 nach Łódz Deportierten waren 1.130 Männer und 1.188 Frauen. Neben den 2.318 Erwachsenen erfassten die Transporte 2.689 Kinder. 613 Personen starben bereits in den ersten Wochen nach der Ankunft im „Zigeunerlager Litzmannstadt“, die meisten wahrscheinlich an einer Fleckfieberepidemie. Die übrigen wurden im Dezember 1941 oder Jänner 1942 in das Vernichtungslager Chelmno/Kulmhof überstellt und dort mit Gas getötet. Niemand überlebte. Im März 1942 ordnete die Kriminalpolizeistelle Graz an, Anfragen besorgter Angehöriger über das Schicksal der Deportierten an das RSHA weiterzuleiten beziehungsweise ihnen mitzuteilen, dass ihnen nicht erlaubt sei, die nach Łódz „Umgesiedelten“ zu besuchen. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Deportationsopfer tot. Die Namen fast aller 5.007 Opfer dieses Transportes sind bis heute unbekannt.
Laut amtlichen Angaben nach Łódz deportierte Roma aus Oberwart
Auschwitz
Das Berliner Reichssicherheitshauptamt befahl am 26. und 28. Jänner 1943 die Deportation von „Zigeunern“ aus den „Alpen- und Donau-Reichsgauen“, nachdem die Lokalbehörden in den Gauen Steiermark und in Niederdonau auf die Deportation der restlichen Roma gedrängt hatten. Burgenländische Roma, die ihren Wehrdienst an der Front versahen, wurden auf Heimaturlaub beordert, dort verhaftet und ebenfalls deportiert. Ab Anfang April 1943 wurden ca. 2.900 österreichische Roma und Sinti nach Auschwitz-Birkenau gebracht, wo sie unter schrecklichen Umständen im „Zigeunerfamilienlager“, einem eigens für „Zigeuner“ abgegrenzten Sektor in Birkenau, leben mussten. Bis zum Sommer 1944 starben rund 70 Prozent der Deportierten an Hunger, Krankheit, Erschöpfung oder wurden ermordet. Als Ende Juli 1944 das Konzentrationslager Auschwitz aufgrund der heranrückenden sowjetischen Truppen geräumt werden musste, wurden die noch arbeitsfähigen Roma selektiert und auf so genannten Todesmärschen in andere Konzentrationslager getrieben. Die zurückbleibenden 2.900 Roma wurden in der Nacht von 2. auf 3. August 1944 vergast.
Oberwarter Roma in Auschwitz Birkenau
Grundbesitz
Nach der Deportation der Roma in Arbeits- und Konzentrationslager wurden die Siedlungen fast ausnahmslos zerstört, die Häuser wurden abgetragen oder einfach in Brand gesteckt. Auch die Oberwarter Romasiedlung wurde 1939 niedergebrannt. Nach Kriegsende 1945 konnten die überlebenden Roma aufgrund fehlender Grundbuchseintragungen nicht beweisen, dass sie jemals ein Haus besessen hatten und konnten daher auch keine Entschädigung für ihr zerstörtes Eigentum beantragen. In Oberwart ist nur eine einzige Grundparzelle der Zwischenkriegszeit eindeutig als im Besitz eines Rom zu identifizieren. Das dürfte auch mit ein Grund dafür gewesen sein, dass die nach 1945 errichtete Romasiedlung Oberwart sich an einem völlig anderen Ort befand, nämlich in der Nähe der Dornburggasse. Das im Besitz der Gemeinde stehende Grundstück wurde in Einzelparzellen aufgeteilt und die Familien errichteten darauf neun Gebäude. Fünf Parzellen wurden von ihren Besitzern von der Gemeinde käuflich erworben, die restlichen Bewohner mussten Miete an die Gemeinde Oberwart bezahlen.
Haftentschädigungen wurden den überlebenden Roma erst nach großen Anstrengungen und meist erst nach Einschaltung eines Wiener Rechtsanwaltes zugesprochen. Erst ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre konnten sich die meisten Romafamilien in Oberwart neue Häuser mit modernen sanitären Standards errichten.
Quellen
Literatur:
Ansiedlungsurkunde von Christof Batthyány 1674.
Bundesamt für Statistik (Hg.), Ortsverzeichnis des Burgenlandes. Bearbeitet aufgrund der Ergebnisse der Volkszählung vom 7. März 1923.
Verzeichnis der Zigeunerkolonien in den Gemeinden des Bezirkes Oberwart sowie die Kopfzahl derselben. Beilage zu Bericht der BH Oberwart an die Burgenländische Landesregierung betr. Zigeunerunwesen vom 18.9.1924.
Verzeichnis A, B und C, BH Güssing, 28.12.1925, BLA I.a.Pol. Zigeunerakt 1938, Mappe 1932.
Verzeichnis A, B und C, BH Oberwart, Beilage zu Schreiben BH Oberwart an Amt der burgenländ. Landesregierung vom 8.1.1926 betr. Zigeuner, BLA I.a.Pol., Zigeunerakt 1938, Mappe 1932.
Verzeichnis A, B und C, Beilage zu Schreiben BH Neusiedl am See an das Amt der burgenländ. Landesregierung vom 19.1.1926 betr. Zigeuner, BLA I.a.Pol., Zigeunerakt 1938, Mappe 1932; Vgl. Zigeunerverzeichnis, 28.12.1925, BLA zitiert nach: Diss Claudia Maierhofer S. 47 f.
Verhandlungsschrift über die am 15. Jänner 1933 in Oberwart abgehaltene Tagung über die Zigeunerfrage im Burgenland, ÖstA, BKA, Gd 3/37, Kt. 7152, 339.732.
Vgl. Schreiben der BH Neusiedl am See an die Gendarmeriepostenkommandos im Bezirk vom 12.9.1930, BLA BH Neusiedl am See Polizei 1938.
Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Oberwart an das Amt der burgenländischen Landesregierung vom 18.10.1931, BLA, I.a. Pol. Zigeunerakt 1938, Mappe 1930 – 1932.
Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf an die burgenländische Landeshauptmannschaft vom 28.2.1938 betr. Bekämpfung des Zigeunerunwesens. BLA, I.a. Pol. Zigeunerakt 1938, Mappe V. S. 5.
„Reinschrift der mir von Kathi Horvath (verehel. König), Maria-Lanzendorf Neue Siedlung Nr. 5 übergebenen Aufzeichnungen.“ Handschriftlicher Vermerk: Schwester von Hermine H. in Mannswörth), wahrscheinlich ebenfalls von verfasst von Emmi Moravitz, undatiert, maschingeschriebenes Manuskript, (Orthographie des Originals beibehalten), DÖW 19360/1, S. 1-2.