Roma
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In Lackenbach gab es bis in das Jahr 1873 keine Aufzeichnungen über ansässige Roma. Erste Dokumentationen über Roma in Lackenbach zeigen die Matriken der Gemeinde, die in den Jahren 1879 bis 1886 fast jährlich Geburten von Romakinder aufweisen, die aber nicht sesshaften Familien entstammten. 1884 findet sich eine Eintragung über eine Geburt im „Lager Lackenbach“. Aufgrund dieser Aufzeichnung kann man davon ausgehen, dass es zu diesem Zeitpunkt bereits eine Romasiedlung in Lackenbach gab.
In der Zwischenkriegszeit befand sich eine aus zwei bis drei Hütten bestehende Romasiedlung außerhalb des Ortes bei der Schlachtbrücke. Heute ist dies der Bereich der Antonigasse. Aufgrund von Zählungen in den Jahren zwischen 1925 und 1936 ist bekannt, dass 15 bis 16 Roma in Lackenbach lebten.1 Bei der Zählung im Jahr 1936 stellte sich heraus, dass zudem 20 Roma bei der Zeiselmühle – zwischen Lackenbach und Lackendorf – wohnten. In der NS-Zeit wurden auch Roma aus der Siedlung ins 1940 errichtete NS-Zigeuner-Anhaltelager eingewiesen oder in andere nationalsozialistische Konzentrationslager deportiert. Nach Kriegsende kehrten nur wenige Roma ins Burgenland zurück. Einige siedelten sich auch in Lackenbach an, wiederum im Bereich der heutigen Antonigasse.2
1 Gerhard Baumgartner/Herbert Brettl: „Einfach weg!“ Verschwundene Romasiedlungen im Burgenland. Wien: 2020, 186.
2 Gerhard Baumgartner/Herbert Brettl: „Einfach weg!“, 187.
Lage der "Zigeuner" in den Jahren 1938–1945
Lage der "Zigeuner" in den Jahren 1938–1945
Bereits in früheren Jahrhunderten wurde die Gruppe der Roma aus verschiedensten rassischen Gründen verfolgt und stigmatisiert. Doch in den Jahren 1938–1945 erreichte ihre Verfolgung neue Dimensionen, gipfelte im NS-„Zigeuner“-Holocaust In der Ersten Republik stiegen Ablehnung und Zurückweisung im Alltag gegenüber den Roma stark an, besonders auch im Burgenland. Anfang der 1930er-Jahre folgten Vorbereitungen zu einem „Zigeunergesetz“,1 und bereits 1933 wurden Berufsverbote erlassen. Roma wurden aus Vereinen ausgeschlossen, der Zutritt zu Gasthäusern und Kinos wurde ihnen untersagt. Daneben gab es Aufenthaltsverbote im öffentlichen Raum, d.h. Verbote, bestimmte Plätze und Straßen zu betreten. Kindern wurde der Schulbesuch verboten. Zur deutschen Wehrmacht eingezogene Roma mussten diese 1941 „aus rassepolitischen Gründen“ wieder verlassen.2 In der sogenannten „Ostmark“ entfesselten eigenmächtige Entscheidungen lokaler burgenländischer Behörden ein unheimliches Tempo, eilten den zentralen Anordnungen aus dem „Altreich“ voraus, beschleunigten die zentrale NS-Zigeunerverfolgung.3 Die Rassenforscher des nationalsozialistischen Regimes stuften die Roma, obwohl durch deren indische Ursprungs-Herkunft „Arier“, als „primitive Fremd-Rasse“ und gleichzeitig als „asozial“ ein. Burgenland-Roma wurden zudem als „Mischlinge mit den niedersten Elementen der verschiedenen Völker und Rassen“ bezeichnet. Die Basis dazu lieferten alte und erweiterte Vorurteile. Als arbeitsscheu und kriminell diskriminiert, schlossen die NS-Rassentheoretiker Umerziehungsmaßnahmen aus. Deshalb sollte ihnen das gleiche „Schicksal“ wie der jüdischen Bevölkerung zukommen. Rechtliche Basis lieferten ab 1935/36 die „Nürnberger Gesetze“, vorwiegend gegen Jüdinnen und Juden gerichtet. Entrechtungsparagrafen zielten aber auch auf Roma und „Neger“ ab, um eine „Verunreinigung des deutschen Volkskörpers“ zu verhindern. So kam es ab 1936 im Gebiet des damaligen „Deutschen Reiches“ zu ersten Zwangssterilisierungen. Auf burgenländischem Boden wurden bereits vor dem „Anschluss“ erste Erhebungen der Bevölkerungsanzahl der „Zigeuner“ durch die illegalen Nationalsozialisten getätigt, um die finanzielle Belastung der einzelnen Gemeinden zu berechnen. Deren Kampfruf, „Das Burgenland zigeunerfrei zu machen!“, konnte in den Folgejahren (fast) realisiert werden.4 Darüber hinaus existierte seit 1928 im Burgenland eine eigene Zigeunerkarthotek, in der zirka 8.000 Roma erfasst waren. Aufgrund dieser Vorarbeit durch die lokalen und regionalen Gendarmerie-Dienststellen konnten die NS-Behörden ab 1938 rasch auf diese Bevölkerungsgruppe zugreifen.
Das NS-Regime zwischen 1938 und 1945 brachte für die heute anerkannte Volksgruppe den absoluten Höhepunkt in der Verfolgung. Diskriminierung und Ausgrenzung gipfelten in Entrechtung und Ermordung der Mehrheit der burgenländischen Roma, abgestützt auf NS-Gesetze und Erlässe.5 Nie zuvor war das Leben dieser Menschen derart bedroht.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten setzte die radikale Politik gegenüber den Roma ein, vor allem vorangetrieben und exekutiert durch den burgenländischen Landeshauptmann und stellvertretenden NS-Gauleiter, Dr. Tobias Portschy. Es begann mit der Entziehung des Wahlrechts, sodass Roma an der Volksabstimmung des 10. Aprils 1938 nicht teilnehmen konnten. Es folgten ein Musizierverbot in der Öffentlichkeit (Einkommensquelle vieler Roma) sowie der Entziehung von Gewerbeberechtigungen zur Ausübung eines Wandergewerbes. Ab Mai 1938 wurden ausländische Roma ausgewiesen, sesshafte inländische Roma durften nicht mehr ausreisen. Portschy veröffentlichte im August desselben Jahres seine „Denkschrift – Die Zigeunerfrage“. Eine Hetzschrift, voll von Rassenhass, Verboten und Vorschriften, die sogar den Behörden in Berlin als Vorbild für die spätere „Endlösung in der Zigeunerfrage“ dienen sollte.6
"Die Zigeunerfrage" (Hetzschrift von Tobias Portschy) - Sammlung VHS Roma
Aufgrund eines NS-Erlasses durften die nationalsozialistischen Organisationen ab Juni 1938 „arbeitsscheue und asoziale Elemente“ verhaften. Damals wurden zwischen 232 und 420 burgenländische Roma in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Im August 1938 wurde ein Teil von ihnen in das neu errichtete Konzentrationslager Mauthausen gebracht.7 Dies war der Auftakt zu Deportationen von Roma in nationalsozialistische Konzentrations- und Arbeitslager.
Im Juli 1938 verordnete Tobias Portschy eine Arbeitspflicht für alle arbeitsfähigen Roma ohne festes Beschäftigungsverhältnis. Sie wurden beispielsweise für den Straßenbau, zur Arbeit bei öffentlichen Bauten, bei Bachregulierungen und in Steinbrüchen eingesetzt, wo sie täglich unter Bewachung zehn Stunden arbeiten mussten. Der Lohn für eine Arbeitsstunde betrug 0,51 Reichsmark. Die Hälfte davon erhielt die jeweilige Heimatgemeinde als „Ausgleich für die jahrzehntelange Belastung“. Im Herbst 1938 wurden Zwangsverpflichtungen zur Erntearbeit erlassen.8 Am 17. Oktober 1939 folge ein Festsetzungserlass, der den „Zigeunern“ das Verlassen ihrer Aufenthaltsorte verbot, und den Kriminalpolizeistellen befahl, Sammellager einzurichten.9 Sollten doch nach dem erfolgreichen Blitzkrieg gegen Polen, Juden und Zigeuner ins besetzte Generalgouvernement verfrachtet werden. Die Transportkapazitäten waren bald erschöpft, sodass die „Zigeuner“-Transporte zurückgestellt wurden.
Eine Vielzahl auch der burgenländischen Roma starb zwischen 1938 und 1945 in NS-Konzentrations- und Vernichtungslagern, in „Zigeunerlagern“ aufgrund katastrophaler sanitärer Verhältnisse, durch Zwangsarbeit oder bei medizinischen Experimenten, tituliert als „Humanversuche“. Dazu zählten auch Zwangssterilisationen, die diese gesamte Bevölkerungsgruppe auslöschen sollten. „Zigeuner“ fielen zudem der sogenannten „Euthanasie“ zum Opfer, bei der psychisch, geistig oder körperlich Kranke „entfernt“, d.h. ermordet wurden. Deren „Krankheit“ bestand, im Falle der Roma, jedoch lediglich in ihrer Rassenzugehörigkeit.10 Die NS-Verfolgung und Vernichtung der „Zigeuner“ ist mit jener der Juden gleichzusetzen. Im Gegensatz zu den Juden hatten die Roma und Sinti einen niedrigeren sozialen Status und somit eine geringere ökonomische und gesellschaftliche Bedeutung.11 Laut Schätzungen kamen zirka. 500.000 europäische Roma und Sinti in den verschiedensten NS-Einrichtungen ums Leben; ein Teil wurde von den SS-Einsatztruppen in den Ostgebieten erschossen. Genaue Zahlenangaben sind schwierig, aufgrund fehlender oder verloren gegangener Aufzeichnungen. Für Österreich ließ sich eine annähernde Todeszahl berechnen. Von den 1938 „erfassten“ 11.000 „Zigeuner“ (Roma, Sinti, Lovara) haben 85-90 Prozent den NS-Holocaust nicht überlebt.
1 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland in den Jahren 1937 bis 1945 mit besonderer Berücksichtigung des Lagers Lackenbach. Diplomarbeit Universität Wien: 1999, 17.
2 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 15.
3 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 16.
4 Herbert Brettl: Nationalsozialismus im Burgenland, 270f.
5 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 18.
6 Herbert Brettl: Nationalsozialismus im Burgenland, 271.
7 Herbert Brettl: Nationalsozialismus im Burgenland, 274.
8 Herbert Brettl: Nationalsozialismus im Burgenland, 272.
9 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 126.
10 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 16.
11 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 18.