Häftlinge: Herkunft – Zugänge – Abgänge
Häftlinge: Herkunft – Zugänge – Abgänge
Das Lager in Lackenbach diente als „Verwahrungsstätte für „Zigeuner“ der angrenzenden Verwaltungsbezirke und zwar: Bruck an der Leitha, Eisenstadt, Lilienfeld, Oberpullendorf, St. Pölten, Wiener Neustadt und die Grundverwaltung des Reichsgaues Wien. Einweisungen aus anderen Bezirken waren auch möglich, jedoch musste der jeweilige Landkreis für die „Verpflegungskosten“ im Lager aufkommen.1 Allerdings sollten entsprechende Sammellager, so auch Lackenbach, nur als Übergangseinrichtung bis zur „endgültigen Lösung der Zigeunerfrage“ dienen, war doch die für Ende 1939 geplante Abschiebung aller „Zigeuner aus dem Altreich und der Ostmark“, nach Polen, auf einen späteren Zeitpunkt aufgeschoben worden.
Die Kripoleitstelle Wien war für die Einweisung der Häftlinge in das Lager verantwortlich. Jeder Einweisung ging ein Personenfeststellungs-Verfahren durch das „Zigeunerreferat“ der Wiener Leitstelle voraus, in Abstimmung mit der „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ beim Reichskriminalpolizeiamt in Berlin. Für Betroffene endete das Verfahren damit dass ihnen die Personaldokumente abgenommen und gegen eine einheitliche Kennkarte ausgetauscht wurden. Zumeist erfolgte die Einweisung ganzer Familien oder Siedlungen.2 In seltenen Fällen kam es zu Enthaftungen, und zwar dann, wenn es sich laut Rassegutachten um „Nichtzigeuner“ oder um „Mischlinge mit vorwiegend deutschem Blutanteil“ handelte.3
In den ersten Monaten nach der Errichtung des Lagers zählte man rund 180 Häftlinge.4 Im Jahr 1941 folgten größere Einweisungen, so kam es im April 1941 zum größten Zugang mit 398 Personen aus Mattersburg und Umgebung.. Die hohe Anzahl von Einweisungen hielt bis Mitte November 1941 an. Fünf weitere Zugänge folgten, darunter auch ein Transport aus Mauthausen.5 Ab April 1943 kam es nur noch zu vereinzelten Einweisungen, zumal die Mehrheit der Roma (= Roma, Sinti, Lovara, vereinzelt Jenische) zu diesem Zeitpunkt bereits in KZs deportiert, dort gestorben oder ermordet worden waren.6
Das Anhaltelager Lackenbach wurde als „Familienlager“ bezeichnet, jedoch wurden im Zuge der Masseneinweisungen auch Kinder ohne deren Eltern eingewiesen.7 Zieht man die Zahlen der Lagerpopulation aus dem Jahre 1943 heran, so zeigt sich, dass Kinder und Jugendliche bis zum 20. Lebensjahr 57,8 % der Lagerpopulation stellten. 88 % der Inhaftierten waren unter 40 Jahren.8
Die Häftlinge wurden aus den verschiedensten österreichischen Bundesländern nach Lackenbach überstellt: aus Wien, aus dem Burgenland, aus Niederösterreich und Kärnten. Auch einige „Zigeuner“ aus Italien zählten zu den Lagerinsassen. Kurz vor Kriegsende trafen vereinzelt deutsche und ungarische „Zigeuner“ im Lackenbacher Lager ein.9 Sinti bildeten neben den Roma die zweitgrößte Gruppe. Zirka 20 österreichische bzw. deutsche Sinti, insgesamt drei Familien, wurden im Frühjahr 1943 von Salzburg nach Lackenbach deportiert. Damals wurde – aufgrund des Auschwitz-Erlasses vom Dezember 1942 – das „Zigeunerlager Salzburg-Maxglan“ komplett aufgelöst. Die Mehrheit der in Salzburg internierten Sinti und Roma wurde damals direkt ins KZ Auschwitz-Birkenau abtransportiert.10
Der Häftlingsstand im Lackenbacher Lager schwankte zwischen 570 und 2.000 Personen.11 Über den gesamten Zeitraum „gingen“ rund 4.000 „Zigeuner“ durch dieses Lager. 904 Personen konnten bislang namentlich erfasst werden.12 Diese Zahl ließ sich aufgrund der fortlaufenden Nummerierung der Neuzugänge ermitteln. Die Zuweisungen schwankten zwischen 10 und 100 Personen, daneben gab es aber auch ständige Inhaftierungen von Teil-Familien und Einzelpersonen. Mit 2.335 Insassen wurde bereits im November 1941 ein Höchststand erreicht.13 Doch, ebenfalls im November 1941, wurde der Häftlingsstand durch zwei große Ost-Transporte wiederum reduziert. Je 1.000 Personen, vorwiegend ältere Menschen und Kleinkinder wurden am 4. bzw. 8. November 1941 nach Lodz (Litzmannstadt) verfrachtet und knapp danach im Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) ermordet. Nicht arbeitsfähige alte Menschen und Kleinkinder wurden als „Ballast-Existenzen“ als erstes „ausgesondert“. Diese beiden Deportationen waren die größten Abgänge in der Lagergeschichte, und sie sind als Auftakt der später vollzogenen „NS-Endlösung in der Zigeunerfrage“ zu bewerten.14 Diese folgte ab Frühjahr 1943, aufgrund Himmlers „Auschwitz-Erlass in der Zigeunerfrage“. Darin wurde die Verbringung aller noch in Freiheit lebenden „Zigeuner“ ins Zigeunerfamilienlager im KZ Auschwitz-Birkenau angeordnet. Auch aus dem Lackenbacher Lager gab es Überstellungen ins KZ-Auschwitz im Frühjahr 1943, belegt durch aufgefundene Karteikarten. Wieviele es insgesamt waren, ist bis heute nicht bekannt. In Lackenbach wurde damals entschieden, das Lager nicht aufzulösen, wurden doch Arbeitskräfte in der Endphase des Krieges immer wichtiger.
Darüber hinaus konnten „Abgänge“ von 237 Personen aufgrund von Todesfällen im Lager ermittelt werden. Desweiteren führten Fluchten zur Reduktion der Lagerpopulation.15 Allerdings wurden Geflüchtete zumeist wieder aufgegriffen, dies belegen ebenfalls Eintragungen auf aufgefundenen Karteikarten.
1 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 81.
2 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 135.
3 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 84.
4 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 133.
5 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 86.
6 Ebda., 90.
7 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 133.
8 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 91.
9 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 133.
10 Ebda., 133.
11 Ebda., 133.
12 Pia Bayer / Christine Heckenast (Hg.): Burgenland – 90 Jahre 90 Geschichten (Bgld. Forschungen, Bd. 137), Eisenstadt: 2011, 28.
13 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 134.
14 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 141.
15 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 99.
Alfred Horvath – Nummer 600
Alfred Horvath – Nummer 600
Der 1934 geborene Neudörfler Alfred Horvath wurde 1940 gemeinsam mit seinen Eltern und den drei Geschwistern ins Anhaltelager Lackenbach eingewiesen. Ein weiterer Bruder wurde bereits 1938 nach Dachau gebracht, „durchlief“ zudem die Konzentrationslager Buchenwald und Mauthausen. Nach Eingabe seiner Frau wurde er von dort ins Lager Lackenbach überstellt. Alfred Horvaths ältester Bruder diente in der deutschen Wehrmacht.1 An die Ankunft im Lager konnte sich der damals Sechsjährige genau erinnern. Nachdem er zuerst mit seiner Mutter verhaftet und eingesperrt wurde, folgte am Abend dieses Tages die Verhaftung seines Vaters, der – obwohl er nicht verpflichtend ins Lager deportiert wurde – sich seiner Familie anschloss und mit einem LKW ins Lager gebracht wurde. Alfred Horvath erinnerte sich an die widrigen Umstände, auf die sie im Lager trafen. Besuchte jemand von außerhalb das Lager, beispielsweise bei Lagervisiten, so verbesserten sich für diese Zeit die Verhältnisse. Die Kaminöfen in den Baracken durften dann geheizt werden und anstatt den üblichen Steckrüben gab es besseres Essen. Schon als Sechsjähriger musste er bei jedem Wetter am Morgenappell teilnehmen. Besonders in der Anfangsphase waren die Bedingungen dafür sehr hart. Alfred Horvath erinnert sich, dass er dabei Erfrierungen an den Füßen erlitten hat. Den Rest des Tages verbrachte er als Kind in einer Art „Kindergarten“. Die Mahlzeiten wurden in der jeweiligen Baracke auf dem Bett sitzend eingenommen.2 Vom zerstörten und abgerissenen Judenghetto mussten die Insassen Steine und Ziegel ins Lager schleppen. Der Tagesablauf wurde von Schlägen und Tritten begleitet.3 Alfred berichtete aber auch über positive Begebenheiten, die sie außerhalb des Lagers erlebten, z.B. dass ihnen Bauern ein Stück Brot zusteckten, oder dass Äpfel in den Erdäpfel versteckt waren.4
Alfred Horvath - Sammlung VHS Roma, Erich Schneller
1 Erich Schneller, Horst Horvath, Unabhängiges Antifaschistisches Personenkomitee Burgenland (Hg.): Verschleppt! Oberwart: 1984, 11.
2 Ebda., 12.
3 Ebda., 14.
4 Ebda., 15.
Hubert Amberger
Hubert Amberger
Anders als Alfred Horvath erlebte der 1934 geborene Hubert Amberger auch außerhalb des Lagers Schreckensszenarien. Von November 1940 bis zur Befreiung im April 1945 war er mit seiner Familie im Anhaltelager Lackenbach inhaftiert und musste in einer benachbarten Landwirtschaft seine Zwangsarbeit verrichten. Eines Tages sollt er die Kühe des Bauern auf einem frisch gedroschenen Weizenfeld halten, doch daneben befand sich eine Kleewiese, die die Kühe nicht betreten durften. Das Kind konnte die Kühe trotz großer Mühen nicht davon abhalten die Wiese zu betreten und den Klee zu fressen. Am Hof wieder angekommen wurde der Junge immer wieder vom Bauern in einen Wäschetrog getaucht und zwischendurch kassierte er von der Bäuerin Schläge ins Gesicht. Erst als es den Kühen wieder besser ging, beendeten die beiden die Torturen. Hubert Amberger litt unter diesem Trauma sein Leben lang.1
Einweisung in das Lager – Sammlung Banny, Lackenbach – Sammlung Andreas J. Schröck, Grafenschachen
1 o.A.: Lebensgeschichten. In: Parlamentsdirektion (Hg.): War nie Kind. Beiträge zu den Gedenkveranstaltungen gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Wien: 2008, 22.
Andreas H.
Andreas H.
1942 erblickte Andreas H. im „Zigeunerlager Lackenbach“ das Licht der Welt. Auch er berichtete von Schikanen, die die Häftlinge im Lager erdulden mussten. So wurden beim Morgenappell Frauen, Männer und Kinder ausgewählt, die in die großen Konzentrationslager deportiert werden sollten. Sein Bruder und einer seiner Freunde stahl beim Weg zurück ins Lager zwei Maiskolben. Sie wurden von der SS ertappt und ins Lager zurückgebracht, wo sie Hiebe erhielten und deshalb 14 Tage lang nicht mehr zur Arbeit ausrücken konnten. Er berichtete auch, dass Arbeiter, die beim Straßenbau nicht mithalten konnten, an Ort und Stelle erschossen wurden.1
1 o.A.: Lebensgeschichten. In: Parlamentsdirektion (Hg.): War nie Kind. Beiträge zu den Gedenkveranstaltungen gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Wien: 2008, 22.
Rudolf Sarközi
Rudolf Sarközi
Rudolf Sarközi wurde am 11. November 1944 im „Zigeunerlager“ Lackenbach als erstes Kind seiner Eltern geboren. Bereits wenige Tage nach seiner Geburt war seine Mutter wieder verpflichtet, Zwangsarbeit zu verrichten. In einem Tuch auf dem Rücken nahm sie den Säugling mit zur Arbeit, um ihn ernähren zu können. Zum Zeitpunkt von Rudis Geburt waren seine Großeltern bereits ermordet, deportiert im November 1941 ins Ghetto Łódź bzw. in die Vernichtungsanstalt Chełmno. Bei der Befreiung des Lagers war Rudolf Sarközi fünf Monate alt; da begab sich die kleine Familie zu Fuß zurück an ihren Heimatort. Seine Eltern haben die Konzentrations- und das Anhaltelager zwar überlebt, aber sie trugen körperliche und psychische Schäden davon.1
Rudolf Sarközi - Sammlung VHS Roma
1 Rudolf Sarközi: KZ-Lackenbach: Gedenken und Mahnen. Mein Leben, von Lackenbach geprägt. In: Susanne Urban/Sascha Feuchert/Markus Roth (Hg.): Fundstücke. Stimmen der Überlebenden des „Zigeunerlagers“ Lackenbach. Göttingen: 2014, 11f.
Adolf Papai
Adolf Papai
Quelle: Eine Zeitzeugen-Dokumentation von Roma-Service, MRI HISTORIJA, Lebensgeschichten burgenländischer Roma