Begriffserklärung
Text: Gert Tschögl
An dem Ort, an dem heute wieder Recht gesprochen wird, wurden in der NS-Zeit oftmals Unrechtsurteile gefällt. In Folge der NS-Machtergreifung 1938 wurden vor allem kommunistische, sozialdemokratische und christlich-soziale Gegner und Gegnerinnen verhaftet; teilweise wurden sie auch misshandelt, vor Gericht gestellt und/oder in Arbeits- oder Konzentrationslager eingeliefert. Sie wurden aus sämtlichen Ämtern und Funktionen entfernt. Einige leisteten aktiv Widerstand; manche wurden deshalb hingerichtet.
Politische Verfolgung im NS-Staat
Der Begriff der „Politischen Verfolgung“ umfasst nach heutigem Verständnis nicht alleine die Verfolgung politisch motivierter GegnerInnen des NS-Regimes aus den Reihen des kommunistischen, sozialdemokratischen und christlich-sozialen Lagers. Diese Gruppe stellte zwar die Mehrheit aller politisch Verfolgten, jedoch müssen auch jene dazugezählt werden, die wegen Vergehen außerhalb des organisierten politischen Widerstandes – aus religiöser Motivation oder z.B. wegen des Vergehens des „verbotenen Umgangs“ mit Kriegsgefangenen, des Abhörens ausländischer Rundfunksender, „heimtückischer“ Äußerungen gegen das NS-Regime und anderer Verstöße gegen die NS-Gesetze – in Haftstätten eingewiesen bzw. über das in einem Rechtsstaat normale Ausmaß bestraft wurden.
„Diese breite Definition des Begriffs der ‚politischen Verfolgung’ ist Ergebnis eines jahrzehntelangen Diskussionsprozesses, der in Österreich mit der Gründung des DÖW 1963 einsetzte. Die Dokumentationen zu Widerstand und Verfolgung in den Bundesländern maßen politische Verfolgung am totalen Gehorsamkeitsanspruch der nationalsozialistischen Machthaber. Der von Karl R. Stadler geprägte breite Widerstandsbegriff umfasste auch individuelle Versuche, sich diesem Anspruch zu entziehen. Die justiz- und zeitgeschichtliche Forschung seit den 1990er-Jahren zeigt, dass sich die tatsächliche Dimension der Verfolgung nur aus den Intentionen der Verfolgungsbehörden erschließt. Begreift man politische Verfolgung als nationalsozialistische ‚Gegnerbekämpfung’, ergibt sich eine Kategorisierung, die sämtliche (wirkliche, potenzielle oder vermeintliche) GegnerInnen des Regimes, die die Durchsetzung der Normen der Diktatur in allen gesellschaftlichen Bereichen gefährden könnten, als Opfer der politischen Verfolgung definiert.“ (Garscha/Kuretsidis-Haider: „Politische Verfolgung“ – Zur Historiographie der Kategorisierung der Opfergruppen. DÖW online 4.4.2015).
Während politisch motivierte GegnerInnen zumeist innerhalb des organisierten Widerstandes verbotener Parteien agierten, traf die Verfolgung der anderen „Vergehen“ meistens Einzelpersonen, welche nicht organisiert waren und sich dem Gehorsamkeitsanspruch des NS-Regimes entziehen wollten.
„Politische Verfolgung“ wird als Bekämpfung wirklicher, potenzieller oder vermeintlicher GegnerInnen durch das NS-Regime verstanden und kann nach verschiedenen Kategorien von Opfern politischer Verfolgung definiert werden.
• Sozialdemokratischer Widerstand
• Kommunistischer Widerstand
• Katholisch-konservativ-legitimistischer (u.a. auch der Christlichsozialen Partei) Widerstand
• Widerstand der Zeugen Jehovas und anderer christlicher Gruppen
• Jüdischer Widerstand
• Bewaffneter Widerstand / PartisanInnen
• Widerstandskampf der Kärntner SlowenInnen
• Exilwiderstand
• Widerstand in Gefängnissen und Lagern
• Widerstand von Soldaten und Offizieren in der Wehrmacht
• Überparteiliche Widerstandsgruppen
• Widerstand von ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangenen
• Widerstand von Einzelnen; Resistenzverhalten
(nach DÖW online 4.4.2015)
Das vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) durchgeführte Forschungsprojekt „Namentliche Erfassung der Opfer politischer Verfolgung 1938–1945“ zählt bislang 7.974 Frauen und Männer aus Österreich, die als politisch Verfolgte während der NS-Herrschaft hingerichtet oder ermordet wurden oder unter den Bedingungen der Inhaftierung ums Leben kamen. Darunter befinden sich auch etwa 400 Opfer der NS-Militärjustiz. Aufgrund der unvollständigen Quellenlage wird für diese Opfergruppe jedoch eine höhere Zahl, circa 2.000, angenommen, wodurch sich die Schätzung der österreichischen Todesopfer der politischen Verfolgung in der NS-Zeit auf etwa 9.500 erhöhen (Bailer/Ungar: Die Zahl der Todesopfer politischer Verfolgung – Ergebnisse des Projekts. DÖW online 4.4.2015).
Verfolgte in Oberwart
Politisch Verfolgte wurden in Oberwart/Felsőőr zur Untersuchungshaft im Bezirksgericht Oberwart (in der NS-Zeit „Amtsgericht“ genannt) für zumindest kurze Zeit inhaftiert, bevor sie zu weiteren gerichtlichen Verfahren und Haftstrafen zu anderen Gerichten oder in Haftanstalten bzw. Konzentrationslager überstellt wurden. Einige in Oberwart/Felsőőr wohnhafte politisch Verfolgte wurden auch direkt nach Wien oder Graz gebracht. In Oberwart/Felsőőr formierte sich bereits 1939 eine Widerstandsgruppe. Es waren Kommunisten und ehemalige Sozialdemokraten, die in einer Gruppe von etwa 10 Personen die „Rote Hilfe“ für Angehörige inhaftierter Regimegegner organisierten und Flugzettel mit verbotenen politischen Texten weitergaben. Im Juli 1941 deckte die Gestapo die Widerstandsgruppe auf. Insgesamt wurden etwa 120 Personen aus dem Bezirk Oberwart wegen unterschiedlicher Delikte, die jedoch alle unter dem Begriff „politische Verfolgung“ fallen, von NS-Gerichten verurteilt.
Aus Oberwart/Felsőőr selbst wurden drei politisch Verfolgte zum Tod verurteilt und hingerichtet:
Samuel Brunner, am 10.12.1942 im Landesgericht Wien hingerichtet
Alexander Heigl, am 16.3.1943 im Landesgericht Wien hingerichtet
Josef Seper, am 28.1.1943 im Landesgericht Wien hingerichtet
Weitere 20 OberwarterInnen waren angeklagt und wurden mit Freiheitsentzug bestraft; neun von ihnen verstarben wegen der hygienischen Bedingungen, wegen Mangelernährung oder aus gesundheitlichen Gründen in den Konzentrationslagern Mauthausen oder Dachau (Widerstand und Verfolgung, 1983, 424–464).
Die Online-Datenbank von NS-Opfern des DÖW ermöglicht eine Suche nach Namen, Geburtsort und Wohnort der politischen Opfer: http://www.doew.at/personensuche
Instrumente der Verfolgung
Das NS-Terrorsystem basierte vor allem auf der Zusammenarbeit von NSDAP, Gestapo, Sicherheitsdienst der SS (SD), Kriminalpolizei, NS-Justiz und der Bevölkerung.
Die NSDAP
In den ersten Wochen nach der Machtübernahme im März 1938 ging der Terror vor allem von den ehemaligen illegalen Mitgliedern der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) aus, die nun in führenden Positionen des Staatsapparates waren. Lokale Parteifunktionäre und Ortsgruppenleiter gaben Informationen über politische Gegner, Roma und Juden an die im März eingerichteten Gestapostellen und die Kriminalpolizei weiter. Lokale NSDAP-Funktionäre hatten bei der Verfolgung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung und der Roma und Romnija einen wesentlichen Anteil. In den letzten Tagen des Krieges hatten die NSDAP und ihre lokalen Funktionäre darüber hinaus Mitverantwortung bei der Organisation des Transports der jüdischen ZwangsarbeiterInnen am Südostwallbau, und sie beteiligten sich auch an Kriegsverbrechen an ihnen. (Bayer/Szorger, 2008, 70).
Die Geheime Staatspolizei (Gestapo)
Per Erlass von Heinrich Himmler (Reichsführer-SS) wurde 1938 unter anderen auch die Staatspolizeistelle Eisenstadt (Gestapo) errichtet. Mit der Auflösung des Burgenlandes und der Einteilung der österreichischen Bundesländer in Reichsgaue (Gebietsveränderungsgesetz, in Kraft getreten am 1. Oktober 1938), wurde die Stapostelle Eisenstadt zwischen Wien und Graz aufgeteilt. Oberwart/Felsőőr fiel nun in den Zuständigkeitsbereich der Staatspolizeistelle Graz, welche Grenzkommandos auch in Fürstenfeld, Rechnitz, Heiligenkreuz und Jennersdorf unterhielt. (Halbrainer/Lamprecht/Mindler, 2008, 111ff)
Die überaus brutalen Methoden von Folter, Morden und Einweisungen von Gestapo-Häftlingen in Konzentrations- und Vernichtungslager ohne Gerichtsverfahren, machte die Gestapo zum Inbegriff des nationalsozialistischen Terrors. Während des Krieges waren in der Kriegswirtschaft eingesetzte Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen der Gestapo unterstellt (Bailer/Boeckl-Klamper/Neugebauer/Mang, 2013, 20).
Der Sicherheitsdienst (SD)
Die ursprüngliche Aufgabe des SD bestand in nachrichtendienstlichen Tätigkeiten bei der Beobachtung und Überwachung von politischen GegnerInnen, er kontrollierte aber auch Parteifunktionäre und Mitglieder von NS-Organisationen. Eine wesentliche Rolle kam dem SD bei der Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung zu. Im Jahr 1938 wurde in Eisenstadt eine SD-Hauptaußenstelle eingerichtet. Für das im Oktober 1938 in den Reichsgau Steiermark eingegliederte Südburgenland war die SD-Stelle in Graz zuständig.
Die SD-Stellen bauten ein flächendeckendes Netz an sogenannten V-Männern (Vertrauensmännern) auf, die bevorzugt unter Berufsgruppen angeworben wurden, denen ein natürliches Vertrauensverhältnis entgegengebracht wurde oder die aus beruflichen Gründen viele Kontakte in ihren Gemeinden hatten. Dazu gehörten Lehrer, Ärzte, Postboten oder Rauchfangkehrer. Auf diese Weise wurden alle privaten Lebensbereiche der BürgerInnen überwacht, und unerwünschte und kritische Haltungen gegenüber der NS-Ideologie und dem NS-Staat an die Behörden berichtet (Bayer/Szorger, 2008, 72f).
Die Kriminalpolizei (Kripo)
Der Sicherheitsdienst der SS (SD) und die Gestapo bedienten sich in vielen Fällen der Kriminalpolizei (Kripo) als Vollzugsorgan. Die Kriminalpolizei hatte auch eine besondere Rolle bei Anhaltungen, Inhaftierungen, Einweisungen in Anhaltelager und Arbeitslager und bei den Transporten und der Deportierung der burgenländischen Roma und Romnija. Schaltzentrale dafür wurde die Kriminalpolizeileitstelle Wien mit Außenstellen in allen Landesteilen. In der Kripo-Leitstelle Wien wurde dafür eine eigene „Dienststelle für Zigeunerfragen“ eingerichtet.
Von dieser Dienststelle wurde im Mai 1938 als Maßnahme der sogenannten „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ die Verhaftung der burgenländischen Roma und Romnija und deren Deportation in die Konzentrationslager Dachau oder Mauthausen angeordnet. Dieser Stelle unterstand auch das in Lackenbach im November 1940 eingerichtete Arbeitslager für Roma und Romnija, welches als Durchgangslager für die Transporte in die Vernichtung diente. Lokale Gendarmerieposten spielten bei der Verfolgung gegen Roma und Romnija und die jüdische Bevölkerung im Burgenland eine nicht unwesentliche Rolle (Bayer/Szorger, 2008, 69ff).
Die NS-Justiz
Schon vor 1938 fand sich unter der Richterschaft ein hoher Anteil an NS-Sympathisanten. Mit der personellen Auswechslung von Teilen der Richterschaft ab März 1938 stellte der NS-Staat die Durchsetzung der nationalsozialistischen Rechtsvorstellungen sicher. Im April 1934 waren die Volksgerichtshöfe im Deutschen Reich eingerichtet worden, deren Zuständigkeit ab 20. Juni 1938 nun auch auf das Gebiet Österreichs ausgedehnt wurde. Diesem Gerichtshof oblag in erster Linie die Verhandlung und Aburteilung von Landes- und Hochverratsfällen, später auch Fälle der Wehrkraftzersetzung und strafrechtlicher Delikte, welche WiderstandskämpferInnen zur Last gelegt wurden. Die Verfahren widersprachen jeder ordentlichen Rechtssprechung: Angeklagte wurden von Richtern während der Hauptverhandlung angebrüllt, verhöhnt, beleidigt und gedemütigt (Neugebauer, 2008,34ff).
Zur rascheren Verhandlung und Aburteilung der vielen kleineren politischen Bagatellfälle, wie etwa Vergehen nach dem „Heimtückegesetz“, sogenannte Rundfunkverbrechen (Hören ausländischer Radiosender) oder leichter Wehrkraftzersetzung und diverser NS-Sondergesetze, wie Schwarzschlachten oder Schleichhandel, waren die Sondergerichte und andere NS-Gerichte zuständig (Neugebauer, 2008, 39f).
Quellen
Literatur:
Bailer, Brigitte / Boeckl-Klamper, Elisabeth / Neugebauer, Wolfgang / Mang, Thomas: Die Gestapo als zentrales Instrument des NS-Terrors in Österreich. [2013] http://www.doew.at/cms/download/8v3tp/bailer_et_al_gestapo-1.pdf
Bayer, Pia / Szorger, Dieter: Der Weg zum Anschluss. Burgenlandschicksal 1928–1938. Begleitband zur Ausstellung. (= Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland, Band 125). Eisenstadt 2008.
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Widerstand und Verfolgung im Burgenland 1934–1945. Eine Dokumentation. Wien 1983 (2. Auflage). Österreichischer Bundesverlag.
Halbrainer, Heimo / Lamprecht, Gerald / Mindler, Ursula: Unsichtbar. NS-Herrschaft: Widerstand und Verfolgung in der Steiermark. Graz 2008. Clio Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit.
Neugebauer, Wolfgang: Der österreichische Widerstand. 1938–1945. Wien 2008. Edition Steinbauer.
Tálos, Emmerich / Hanisch, Ernst / Neugebauer, Wolfgang / Sieder, Reinhard (Hg.): NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch. Wien 2002. öbv & hpt VerlagsgmbH & Co.KG.
Internetmedien:
Opferdatenbank des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes: http://www.doew.at/personensuche
Webseite des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: http://www.doew.at