Herrengasse
Da die südburgenländischen jüdischen Siedlungen durchwegs neuzeitliche Ansiedlungen waren, ist keine Ghettobildung feststellbar – so auch in Rechnitz. Die jüdischen Familien lebten bevorzugt am Hauptplatz, in der Herrengasse, der Juden-, Kloster- und Anzengrubergasse, also nicht abgesondert von der übrigen Bevölkerung. Aus dem Jahr 1770 sind ihre Wohnverhältnisse bekannt: Die meisten Juden lebten damals bei anderen Juden (44,67 %) in Untermiete und 43,33 % logierten in Häusern, die sich im Eigentum der Herrschaft befanden. Lediglich 1,33 % wohnten bei Christen.
Batthyány-Gasse vor 1914 (Quelle: Gemeindearchiv Rechnitz)
Die Herrengasse (vormals Batthyány-Gasse) bildete das Zentrum der jüdischen Handels- und Gewerbebetriebe. Meist als Händler oder Handwerker, aber auch Bauern tätig, entwickelten die Rechnitzer Jüdinnen und Juden ein ausgeprägtes kulturelles Leben, was für die wirtschaftliche Entwicklung des Ortes unentbehrlich war. Mitte des 19. Jahrhunderts betrieben 89 jüdische Familien Handel, die meisten davon Klein- und Kleinsthandel. 1840 wurde den Juden Handels- und Bewegungsfreiheit per Gesetz in ganz Ungarn eingeräumt, was zu einer Migrationswelle sowie zu Unternehmensgründungen führte. So entstand auch Fanny Bogdánys „Erste österreichisch-ungarische Fabrik für Einbrennsuppen nach Bogdány-Art“ in Rechnitz, die verschiedene Konserven produzierte und exportierte.
Batthyány-/Herrengasse vor 1914 (Quelle: Gemeindearchiv Rechnitz)
Arbeitsstätten
In den 1930er Jahren waren zwei Gasthäuser und drei Großhandlungen sowie einige Lebensmittelgeschäfte in jüdischem Besitz. Zwei jüdische Ärzte praktizierten im Ort:
Großhandlungen:
Fellner Leo Max, Gemischtwaren/Eisenwaren/Landesprodukte/Baumaterial, Herrengasse 24
Spiegler Adalbert, Gemischtwaren/Baumaterial/Landesprodukte, Herrengasse 6
Steiner Sophie, Gemischtwaren/Baumaterial, Günser Straße 4
Gasthäuser/Greißler/Gemischtwarenhandlungen/Dienstleistungen:
Adler Mathilde, Lederwaren, Herrengasse 35 Arnstein
Textilien Benau Moritz, Lederwaren, Judengasse 16
Breuer Eduard, Federn, Klostergasse 17
Eisenstädter Mary, Lederhandel/Lebensmittel
Engel Viktor, Gemischtwaren, Hauptplatz 6
Fellner Hugo, Schnittwaren, Judengasse 31
Frankl Heinrich, Gast- und Kaffeehaus, Judengasse 31
Graner Emilie, Gemischtwaren, Hochstraße 4
Graner Hugo Dr., Arzt, Bahnhofstraße 3
Grünfeld Ludwig Dr., Arzt, Klostergasse 2
Hirschl Martin, Gemischtwaren, Klostergasse 12
Hirschler Karoline, Eisenwaren, Hauptplatz 13
Holzer Adolf, Händler, Klostergasse 15
Holzer Adolf, Schnapsagent, Klostergasse 17
Holzer David, Felle, Herrengasse 16
Holzer Ludwig, Gemischtwaren, Badergasse 36
Holzer Samuel, Marktfahrer, Kirchengasse 6
Holzer Samuel, Sodawassererzeugung/Fuhrmann, Anzengrubergasse 3
Kertész Moritz, Badeanstalt/Spenglerei, Herrengasse 57a
Mayer Katharina, Schnittwaren, Hauptplatz 12
Margareten Julius, Schnittwaren, Herrengasse 7
Nadai Alexander Ing., Tonkino, Wien 13
Pollak Sidonia, Schlossmühle (gepachtet)
Rosenberger Marton, Schuhmacher, Hochstraße 43
Schönwald Philip Franz, Schnittwaren, Hauptplatz 17
Schreiner Leopold, Schnittwaren/Gemischtwaren, Herrengasse 14
Spiegel Emil, Trafik, Hauptplatz 20
Spiegel Gottlieb, Gemischtwaren, Hauptplatz 20
Spiegel Sophie, Benzin, Hauptplatz 21
Spiegel Wilhelm, Schnittwaren, Herrengasse 16
Spiegler Mathilde, Gasthaus, Bahnhofstraße 1
Spielmann Fanny, Gemischtwaren, Herrengasse 18
Spitzer Leo, Felle, Herrengasse 31
Stern Josef, Photograph, Klostergasse 7
Steuer Samuel, Pferdehändler, Herrengasse 39
Weiß Alexander Simon, Gerberei, Mühlbachgasse 11
Weiß Friedrich, Gemischtwaren, Judengasse 10
GESTAPO Ausweisung
Herrengasse vom Schlossturm (Quelle: Gemeindearchiv Rechnitz)
Quellen
Literatur:
Gemeinde Rechnitz (Hg.): Rechnitz in alten Ansichten. 2. Aufl., Rechnitz 1994.
Mandl, Alois: Rechnitz. Chronik einer Gemeinde. Rechnitz 2000.
Temmel, Johann: Die jüdische Gemeinde in Rechnitz. In: Gombos/Gruber/Teuschler (Hgg.): „... und da sind sie auf einmal da gewesen.“ Zur Situation von Flüchtlingen in Österreich. Beispiel Rechnitz. Oberwart 1992, S. 69-102.
Archiv:
Gemeindearchiv Rechnitz