Anhaltelager Lackenbach
Anhaltelager Lackenbach
Das Anhaltelager in Lackenbach bildete das größte nationalsozialistische Zigeunerlager während der NS-Zeit auf österreichischem Boden1 und erfüllte mehrere Zwecke in der „NS-Zigeunerverfolgung“. Zum einen diente es der „Ausgliederung der biologischen Volksschädlinge aus dem deutschen Volkskörper“ und zum anderen spielte der Arbeitszwang eine wesentliche Rolle. Das Lager in Lackenbach hatte aber auch die Funktion als Durchgangslager für österreichische „Zigeuner“, die vor ihrer Deportation in andere Konzentrations- und Vernichtungslager zusammengezogen wurden.2 So schufen die Nationalsozialisten die Möglichkeit, im Falle einer endgültigen Entscheidung in der „Zigeunerfrage“, d.h. im Falle der angeordneten endgültigen Abschiebung in andere KZs und Vernichtungslager in den eroberten Ostgebieten, schnell handeln zu können.3 Weitere nationalsozialistische Maßnahmen wie z. B. Sterilisierungen, wissenschaftliche Experimente oder physische Vernichtung wurden in Lackenbach nicht durchgeführt.4
1 Erika Thurner: Zigeuner im Burgenland – Das Lager Lackenbach. In: Verband Österreichischer Geschichtsvereine (Hg.): Bericht über den siebzehnten österreichischen Historikertag in Eisenstadt veranstaltet vom Verband Österreichischer Geschichtsvereine in der Zeit vom 31. August bis 5. September 1987. Wien: 1989, 112.
2 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 21.
3 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich. Dissertation Universität Salzburg: 1982, 82.
4 Eduard G. Staudinger: Die Zigeuner im Burgenland 1938–1945. In: Stefan Karner (Hg.): Das Burgenland im Jahr 1945. Beiträge zur Landes-Sonderausstellung 1985. Eisenstadt: 1985, 157.
Errichtung des Anhaltelagers
Errichtung des Anhaltelagers
Nachdem durch die Verhaftungsaktion von arbeitsfähigen Roma Kinder und ältere Roma teilweise allein und unversorgt zurückblieben, mussten die Gemeinden nach geltendem Gesetz für die Notleidenden sorgen. Die burgenländischen Gemeinden wehrten sich dagegen massiv, zumal sie, ohnehin finanziell belastet waren.1 So kam es im Herbst 1940 zur Errichtung von entsprechenden Anhalte- und Arbeitslagern, auch um die Fürsorgekosten zu senken. Die Suche nach einem geeigneten Ort gestaltete sich als schwierig, da viele Gemeinden die „Zigeuner“ aus ihrem Gemeindegebiet weghaben, und so die Losung „Zigeuner- und Judenfrei“ realisiert wissen wollten.2 Die Wahl fiel auf Lackenbach. Am 23. November 1940 wurde dort das „Zigeuner-Anhaltelager“ eröffnet und die ersten Häftlinge eingeliefert.3 Als Standort wurde der sogenannte Schaflerhof ausgewählt ein außer Betrieb befindlicher Meierhof der Fürsten Esterházy.4 Zunächst existierte der Plan an diesem Standort ein größeres Lager zu errichten und erst dann die „Zigeuner“ – nach Abschluss der Arbeiten – einzuweisen. Doch die NS-Verwaltung war nicht bereit, den „asozialen Elementen ein „herrliches Lager zu errichten“ und vor allem dafür nicht „deutschblütige Arbeitskräfte dem Arbeitsmarkt“ zu entziehen.5
Die Lagerleitung, gestellt von der Wiener Kriminalpolizei, bezog das festgemauerte Gutsgebäude. Die Scheune und den ehemaligen Schafstall überließen sie den Häftlingen als Unterkunft. Familien, die mit ihren Wohnwagen im Lager ankamen, blieben weiterhin darin wohnen, auf der großen Wiese hinter dem Meierhof.6 Diese waren besser untergebracht als jene in der Scheune oder im Schafstall. Dort gab es anfangs nur ein Strohlager, das bei Tau- oder Regenwetter völlig durchnässt war.7
Gemauertes Gutsgebäude (Sitz der Lagerleitung) - Sammlung VHS Roma
Anhaltelager 1941 - Sammlung Günter Welz
Dass dieser Gutshof längerfristig als Internierungsstätte genutzt werden konnte, war nur durch einen Ausbau möglich. Dieser erfolgte durch die Häftlinge. Dennoch hatte der Ausbau des Kanzleigebäudes Priorität. Erst danach kam es zur Errichtung von Baracken für die Häftlinge.8 Die dazu benötigten Materialien mussten von den Inhaftierten von der abgebrannten jüdischen Synagoge herbeigeschafft werden.9 Erst die neu errichteten Baracken konnten in den Wintermonaten beheizt werden.10
1 Herbert Brettl: Nationalsozialismus im Burgenland, 274.
2 Susanne Uslu-Pauer: „Verdrängtes Unrecht“. Eine Auseinandersetzung mit den in Zusammenhang mit NS-Verbrechen an Roma und Sini stehenden Volksgerichtsverfahren (1945–1955) unter besonderer Berücksichtigung des Lagers Lackenbach im Burgenland (Beschreibung – Analyse – Auswirkungen nach 1945). Diplomarbeit Universität Wien: 2020, 78.
3 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 21.
4 Ebda., 127.
5 Susanne Uslu-Pauer: „Verdrängtes Unrecht“, 78.
6 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 127.
7 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 76.
8 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 129.
9 Ebda., 146.
10 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 145.
Lebensumstände im Lager
Lebensumstände im Lager
Der Alltag im Anhaltelager Lackenbach glich in Vielem den Bedingungen in den großen KZs. Schwere Arbeit, widrigste Hygienezustände, mangelhafte Verpflegung, sowie die Einschränkung der persönlichen Freiheit auf ein Mindestmaß mussten die Häftlinge – Männer, Frauen und Kinder – neben dem Appellstehen, der Prügelstrafe, dem Essensentzug und der Zwangsarbeit ertragen.1
„Appellstehen“ – Bundesministerium für Inneres, Wien, Archiv des Öffentlichen Denkmal
1 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 134.
Gesundheit
Gesundheit
In einem handschriftlich verfassten Lagertagebuch wird in den ersten Eintragungen ein Gutachten zitiert, in dem vom Medizinaldezernat festgestellt wird, dass die „Örtlichkeit nicht geeignet“ sei. Für hunderte Menschen standen keinerlei sanitäre Einrichtungen zur Verfügung.1
Das Fehlen von Hygiene und sanitärer Einrichtungen führte zum raschen Ausbruch einer Flecktyphus-Epidemie im Lager, an der 250 bis 300 Personen starben. Ihre Leichen wurden in Massengräbern am Friedhof in Lackenbach, am ehemaligen jüdischen Friedhof, verscharrt.2 Auch der erste Lagerleiter, Hans Kollross, fiel der Seuche zum Opfer.3 Nachdem die Epidemie auch auf die Lagerleitung übergriff, erfolgte die sofortige Isolierung des Lagers. Dies bedeutete aber auch, dass die medizinische Versorgung durch den Lackenbacher Gemeindearzt eingestellt wurde, und die Häftlinge sich selbst überlassen blieben. Auch die auswärts eingesetzten Zwangsarbeiter wurden ins Lager zurückgerufen, wo sie sich der Gefahr der Infizierung ausliefern mussten.4 Für die Isolierung des Lagers war auch entscheidend, dass dadurch die angrenzende Lackenbacher Bevölkerung vor weiteren Seuchen geschützt werden konnte.
Veranlasst durch die Epidemie, wurden die Lebensverhältnisse etwas verbessert. Drei neue Wohn- und eine Sanitätsbaracke wurden errichtet; sowie Wassereinrichtungen installiert.5 Neben der medizinischen Versorgung durch den Gemeindearzt konnte es auch vorkommen, dass die Ortshebamme in das Lager geholt wurde. Handelte es sich um akute Fälle, so wurden die Insassen mit dem Rettungswagen oder mit einem privaten Transport in das Krankenhaus Oberpullendorf gebracht.6
Mit den Masseneinweisungen im Frühjahr 1941 verschlechterten sich die Lebensbedingungen im Lager drastisch. Hunger und unzureichende Hygiene dominierten das Lagerleben neben der Zwangsarbeit.7 Im August 1941 kam es zu einer verheerenden Wasserknappheit im Lager. Der Brunnen war ausgeschöpft, und Wasser musste aus dem Bach herbeigeschafft werden. Noch zu Ende des Monats konnte ein weiterer Brunnen am Lagerareal in Verwendung genommen werden, im darauffolgenden Jahr folgten weitere Probebohrungen.8
Auch die Verpflegung war vor allem im Frühling und Sommer des Jahres 1941 schlecht bzw. viel zu gering. Dies war auch auf den damaligen Höchststand im Lager zurückzuführen. So bestand das Essen für die Insassen hauptsächlich aus kaum genießbaren Eintöpfen und Suppen. Im Vergleich zu anderen Konzentrationslagern war die Ernährungslage in Lackenbach nicht besser.9
Bis Ende 1942 verbesserte sich die Wohn- und Lebenssituation im Lager, sodass zumindest vom gesundheitlichen Standpunkt aus, keine unmittelbare Lebensbedrohung für die Häftlinge gegeben war.10 Während der gesamten Zeit war es Häftlingen, allerdings nur in Ausnahmefällen gestattet, mittels eines Passierscheines das Lager „in besonderen Fällen zum Ausgang und Urlaub“ zu verlassen. Meist wurden diese Beurlaubungen mit großem Arbeitsfleiß begründet.11 Besuche konnten unter Aufsicht auf einem Vorgelände des Lagers „empfangen werden“. (Für Besucher war dies allerdings ein Risiko, wurden sie doch zumeist auch im Lager interniert.)12
1 Ebda., 128.
2 Ebda., 141.
3 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 63.
4 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 148.
5 Ebda., 142.
6 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich. Dissertation, 75.
7 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 133.
8 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich., 79.
9 Ebda., 147.
10 Ebda., 80.
11 Ebda., 153.
12 Ebda., 155.
Zwangsarbeit
Zwangsarbeit
Das Lager Lackenbach sollte sich durch den Arbeitseinsatz der Häftlinge selbst erhalten.1 Für „Zigeuner“, die später und aus anderen Gebieten eingewiesen wurden, die nicht an den Ausbau-Arbeiten beteiligt waren, mussten von den jeweiligen Landräten die Kosten für „ihre Häftlinge“ getragen werden.2 Im Unterschied zu größeren Konzentrations- und Vernichtungslagern, die die Zwangsarbeit zur totalen Ausbeutung und physischen Vernichtung einsetzten, brachte die Arbeitsverpflichtung in Lackenbach zT. eine Verbesserung der Lebensumstände.3 Vor allem jene Arbeiter, die außerhalb des Lagers ihren Dienst verrichten mussten, hatten etwas mehr Freizügigkeit.4
Die Betriebe waren verpflichtet, den ortsüblichen Lohn zu zahlen, von dem 10 % die Häftlinge erhielten und der Rest in die Lagerkassa floss.5 Jeden Monat bekamen die Häftlinge zwischen 3 und 8 Reichsmark für die verrichtete Arbeit.6 Vorarbeiter und Lagerälteste erhielten zwischen 10 und 14 Reichsmark. (Über die Auszahlungsmodalitäten ist allerdings bisher wenig bekannt!)7 Männer verrichteten hauptsächlich Arbeiten außerhalb des Lagers. Frauen und Kinder mussten die im Lager anfallenden Tätigkeiten übernehmen.8
Durch den Kriegsverlauf – immer mehr Männer und damit Arbeitskräfte wurden eingezogen – kam es zu einer verstärkten Nachfrage. So wurden immer mehr Lackenbacher Häftlinge zum Arbeitseinsatz außerhalb des Lagers abgestellt. Ironie der Geschichte: Meist wurden sie für jene Arbeiten eingesetzt, die sie auch bereits vor ihrer Einweisung ins Lager – als „arbeitsscheu“ diffamiert – ausgeübt hatten.9 Ihre Arbeitskraft war mehr als notwendig, sodass zahlreiche Firmen und Betriebe überleben konnten.10
Höchste Priorität kam Bauprojekten, vor allem dem Straßenbau oder anderen öffentlichen Baumaßnahmen. Aber auch in der Land- und Forstwirtschaft sowie in verschiedensten Privatfirmen waren Häftlinge tätig.11
Im Lackenbacher Lager war keine Einheitskleidung vorgeschrieben. Die eingesperrten Roma durften ihre eigene behalten. Jedoch sollte die Lagerleitung eine Versorgung mit Arbeitskleidern sicherstellen, die aber nur mangelhaft gewährleistet wurde.12 In der 8- bis 11-stündigen Arbeitszeit wurden die Insassen durch Posten der Lagerleitung oder durch andere Häftlinge, die als Vorarbeiter fungierten, bewacht. Dabei musste das Sprechverbot eingehalten werden, und strenge Disziplin war gefordert.13 Besonders Frauen und Kinder litten psychisch unter den Maßnahmen.14 Kinder wurden hauptsächlich in der Landwirtschaft, bei Bachregulierungen oder in der Seidenraupenzucht eingesetzt. Diese wurden zumeist nicht entlohnt, sondern mussten sich durch diese Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen.15
War nicht genug Wachpersonal vorhanden, so konnte es auch vorkommen, dass die Arbeit innerhalb des Lagers kurzfristig eingestellt wurde.16 Für die Bewachung der Arbeit außerhalb des Lagers war der jeweilige Arbeitgeber verantwortlich.17
Frauen auf dem Weg zur Zwangsarbeit – Sammlung Günter Welz
1 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 142.
2 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 62.
3 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 131.
4 Ebda., 132.
5 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 134.
6 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 132.
7 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 134.
8 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 142.
9 Ebda., 143.
10 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 125.
11 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 143.
12 Ebda., 136.
13 Ebda., 144.
14 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 129.
15 Ebda., 138.
16 Ebda., 130.
17 Ebda., 131.
Strafen, Misshandlungen und Experimente
Strafen, Misshandlungen und Experimente
Besonders unter dem zweiten Lagerleiter, Franz Langmüller, verschlimmerte sich die Lebenssituation für die Häftlinge. Prügel und Schikanen standen an der Tagesordnung. Daneben gab es „offizielle Disziplinierungsmaßnahmen“, zu denen Einzelhaft, Essensentzug oder schwere Strafarbeit zählten.1 Fluchtversuche wurden mit schwersten Strafen geahndet, entweder mit Prügelstrafe2 oder auch der Überstellung in ein großes Konzentrationslager.3 Die Situation verbesserte sich erst als SS-Obersturmbannführer Franz Langmüller als Lagerleiter abgelöst wurde. In einem Volksgerichtshof-Prozess im Jahre 1948 wurde Langmüller zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, da er für den Tod von 287 „Zigeunern“ verantwortlich gemacht werden konnte.4
Langmüller wurde nach seiner Abberufung als Lagerleiter zur Waffen-SS nach Polen versetzt. Unter seinem Nachfolger, dem dritten Lagerleiter Fritz Eckschlager, wie Langmüller SS-Obersturmbannführer verbesserten sich die Zustände allmählich, und auch die Prügelstrafe sowie jegliche „Form körperlicher Disziplinierungsmaßnahmen“ wurden abgeschafft.5 Dessen Nachfolger, Julius Brunner, verfolgte ebenso diese Linie.
Auch die Lagerältesten bzw. Capos waren unter den Lagerinsassen gefürchtet, da auch sie Strafen vollziehen durften/mussten. Alexander Sarközi und Rupert Papai sind hier hervorzuheben, die in den Ruf von „Folterknechten“ gerieten. Alexander Sarközi war 1939 von Unterschützen, Bezirk Oberwart, in die Konzentrationslager Dachau, Mauthausen und Gusen verschleppt worden; 1940 wurde er ins Anhaltelager Lackenbach überstellt. Bis zu seiner Ankunft musste Rupert Papai, als erster Lagerältester, das sogenannte „Züchtigungsrecht“ ausüben. Im April 1942 wurde Papai von der Lagerleitung wegen seiner Härte durch Josef Brantner ersetzt.6
1 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 144f.
2 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 162.
3 Ebda., 166.
4 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 144f.
5 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich., 64.
6 Susanne Uslu-Pauer: „Verdrängtes Unrecht“, 89.
Lagerverwaltung
Lagerverwaltung
Das Anhaltelager Lackenbach unterscheidet sich nur graduell von anderen NS- Konzentrationslagern. Es unterstand zwar nicht unmittelbar der SS, sondern der Polizei mit SS-Reichsführer Heinrich Himmler als oberstem Chef. 1938 war die gesamte Polizei in die SS integriert worden, und alle Lackenbacher Lagerleiter verfügten über einen SS-Rang (SS-Ober- oder Unter-Sturmbannführer). Zuständig für die Lagerverwaltung war die Kriminalpolizei-Leitstelle Wien, die die wichtigsten Verwaltungsposten im Lager besetzte und die Oberaufsicht hatte.1 Die innere Organisation war nach der sogenannten Selbstverwaltung aufgebaut, wie sie auch in anderen NS-Lagern herrschte. Lagerälteste oder „Capos“ waren für die Einhaltung der Lagerordnung und für die Ausführung von Befehlen verantwortlich.2 Bei der Errichtung des Lagers wurden dazu lagererfahrene Häftlinge aus dem KZ Mauthausen mit diesen Aufgaben betraut.3
Im Bereich der inneren Verwaltung zeigen sich jedoch Unterschiede zu Konzentrationslagern. So wurden in Lackenbach Arbeiten in den Schreibstuben nicht von Häftlingen erledigt. Diese Arbeitskräfte wurden von Wien gestellt.4 Zudem war der Lagerbereich nicht durch einen elektrisch geladenen Zaun, nur durch „spanische Reiter“, abgesichert.
1 Gerda Wagner: Die Lager der „Zigeuner“ im Burgenland, 129f.
2 Ebda., 130.
3 Ebda., 132.
4 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 73.
Befreiung des Lagers
Befreiung des Lagers
Beim Herannahen von Truppen der Sowjetischen Armee wurde das Lager Ende März/Anfang April 19451 rasch aufgelassen. Übrige Lebensmittel sowie Arbeitskleidung wurden an die Insassen verteilt. Ebenso versuchte Brunner, der letzte Lagerleiter, auch deponierte Geldbeträge und Dokumente den Häftlingen auszuhändigen, um sie in die Freiheit zu entlassen.2 Anders als in den großen Konzentrationslagern wurden die Häftlinge sich selbst überlassen. Es kam nicht mehr zu Evakuierungstransporten oder Todesmärschen.3
1 Eduard G. Staudinger: Die Zigeuner im Burgenland 1938–1945. In: Stefan Karner (Hg.): Das Burgenland im Jahr 1945. Beiträge zur Landes-Sonderausstellung 1985. Eisenstadt: 1985, 157.
2 Erika Thurner: Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich, 166.
3 Ebda., 167.
Was davon blieb ...
Was davon blieb ...
Jahrzehntelang wurden Roma und Sinti nicht als NS-Opfer anerkannt, weder in Deutschland, noch in Österreich. Die Überlebenden mussten um Entschädigungen kämpfen, in Österreich bezeichnet als „Opferfürsorge-Gelder“. Das Anhaltelager Lackenbach wurde nicht als Konzentrationslager eingestuft, der NS-Holocaust an den sogenannten „Zigeunern“ bis Ende der 1980er Jahre geleugnet und herunter gespielt. Erstmals 1961 wurde Lackenbacher Lager-Überlebenden ein geringer Entschädigungsbetrag wegen „erlittener Freiheitsbeschränkung“ eingeräumt.1 Einer Mehrzahl gelang es aber nicht, auch nicht mit Rechtshilfe, die entsprechenden Nachweise zu erbringen. Dokumente waren den Betroffenen im Zuge der Verfolgung abgenommen worden, und, wie es allzu oft hieß: „durch Bombenschäden vernichtet worden“!
Zudem setzte eine vorurteilsfreie historische Aufarbeitung erst spät ein. Und auch die Pionierarbeiten (Steinmetz: 1966, Thurner: 1983) wurden von Politik und Öffentlichkeit lange ignoriert. Im Gedenkjahr 1988 konnten erstmals juristische Rahmenbedingungen für Entschädigungszahlungen geschaffen werden,2 und das Lager in Lackenbach wurde – in Bezug auf Opferfürsorgeleistungen – den NS-Konzentrationslagern gleichgestellt.3 1995 wurde der Nationalfonds der Republik Österreich geschaffen. Dadurch entstand die Möglichkeit, auch, Geldbeträge an Roma und Sinti auszubezahlen.4
Heute ist vom Lager nichts mehr übrig, da am 1. Oktober 1945 die Spuren des Barackenlagers durch Brandstiftung vernichtet wurden. Auf einem Teil des Geländes stehen heute Einfamilienhäuser.5 Das Kommandaturgebäude wurde aber erst in den 1980er-Jahren abgerissen. Zuvor konnten jene Dokumente gesichert werden, die wesentlich zur Aufarbeitung der Geschichte des Lagers beitrugen. Dieser Quellenbestand wurde 1983 dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes übergeben. Einige dieser wichtigen Dokumente sind in der großen Ausstellung „Romane Thana“ im Wien-Museum 2015 gezeigt worden.6
1984 wurde in Lackenbach ein Mahnmal für die im NS-Regime verfolgten und ermordeten Roma und Sinti errichtet. Dies geschah aufgrund einer jahrzehntelangen Anregung durch die Österreichische Lagergemeinschaft Auschwitz. Das Lackenbacher Mahnmal war damals das erste in Europa, das „Zigeuner als Opfer des NS-Holocaust“ würdigte. Es steht in der unmittelbaren Nähe des ehemaligen Lagergeländes, an der Gabelung Bergstraße-Ritzingerstraße. Initiiert von Professor Rudolf Sarközi vom Kulturverein österreichischer Roma, Wien, wird dort seit 1990 – gemeinsam mit der Burgenländischen Landesregierung – jährlich eine Gedenkfreier für die ermordeten Roma und Sinti abgehalten.7
Gedenkstätte Lackenbach - Sammlung Roma Volkshochschule Burgenland
Gedenkstein - Sammlung Roma Volkshochschule Burgenland
1 Wolfgang Pfleger: Österreichs Zigeuner zur Zeit des Nationalsozialismus. Teil 1. Diplomarbeit Universität Wien: 1984, 100.
2 Pia Bayer / Christine Heckenast (Hg.): Burgenland – 90 Jahre 90 Geschichten, 28.
3 Susanne Urban/Sascha Feuchert/Markus Roth (Hg.): Fundstücke. Stimmen der Überlebenden des „Zigeunerlagers“ Lackenbach. Göttingen: 2014, 7.
4 o.A.: Mahnmal Lackenbach. Gedenken an die ermordeten NS-Opfer Roma und Sinti. In: Kulturverein österreichischer Roma (Hg.): Romano Kipo. 25 Jahre Anerkennung der Roma als Volksgruppe. 4/2018, 8.
5 Wolfgang Pfleger: Österreichs Zigeuner zur Zeit des Nationalsozialismus, 100.
6 Erika Thurner, Roma in Europa, Roma in Österreich, in: E.Thurner/E.Hussl/B.Eder-Jordan (Hg.), Roma und Travellers. Identitäten im Wandel, innsbruck university press 2015, 36.
7 Pia Bayer/Christine Heckenast (Hg.): Burgenland – 90 Jahre 90 Geschichten, 28.
György Rohonczy – Retter einiger Lackenbacher Roma
György Rohonczy – Retter einiger Lackenbacher Roma
György Rohonczy stammt aus der adeligen Familie Rohonczy, die im 17. Jahrhundert den Adelsbrief erhielt und ihren Stammsitz in Oberpullendorf errichtete. Der 1885 geborene Baron wuchs in Budapest auf, wo er auch Rechtswissenschaft studierte, kam aber später als Jurist nach Oberpullendorf zurück, um dort an der Bezirkshauptmannschaft tätig zu sein. 1921 kündigte er und lebte von da an auf einem landwirtschaftlichen Gut in Mitterpullendorf.
Aufgrund des Einzugs seiner Arbeitskräfte zum Militär am Beginn des Zweiten Weltkrieges war die Bewirtschaftung seines Gutshofes kaum mehr möglich. Daher fuhr Rohonczy zum 1940 errichteten Anhalte- und Arbeitslager nach Lackenbach, wo er Arbeitskräfte anforderte, da sein Betrieb als „kriegswichtiger Betrieb“ galt, der Milch und Lebensmittel in das örtliche Krankenhaus lieferte. György Rohonczy forderte die dreifache Anzahl an Arbeitskräften, obwohl er nur drei bis vier Personen benötigte. Ihm gelang es, 15 bis 20 Männer, Frauen und ihre Kinder aus dem Lager, um sie zu retten. Einige Zeit später holte Rohonczy weitere 50 Personen als Erntehelfer für seinen Betrieb aus dem Lager. Diese konnten in Arbeiterwohnungen auf seinem Meierhof wohnen, und erhielten vom Baron ausreichend Verpflegung.
Ihm war aber auch bewusst, dass einige seiner Arbeitskräfte über die Grenze nach Ungarn flüchteten.
Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurde György Rohonczy von der Sowjetischen Armee aufgrund seiner adeligen Herkunft verhaftet und nach Wien gebracht.. Nach seiner Freilassung kehrte er wieder auf den Meierhof zurück und lebte in eher bescheidenen Verhältnissen. Nichtsdestotrotz blieb er hilfsbereit, nahm Waisenkinder seines verstorbenen Wirtschafters auf, finanzierte ihnen eine Schulausbildung, adoptierte ein Mädchen, und setzte es sogar als Erbin ein. Auch 1956 unterstützte er, im Zuge des Ungarnaufstandes ungarische Flüchtlinge. 1975 starb der Baron und wurde in der Familiengruft in Oberpullendorf begraben.1
György Rohonczy - Sammlung VHS Roma, Gerhard Baumgartner
1 Brettl, Nationalsozialismus im Burgenland, 290f.