Etablierung des Nationalsozialismus
Etablierung des Nationalsozialismus
Nachdem das Burgenland an Österreich angegliedert worden war, traten zwischen 1923 und 1925 nur vereinzelt nationalsozialistische Gruppen auf. Die ältesten Ortsgruppen der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter Partei) in Bruckneudorf, Sauerbrunn oder Mattersburg bestanden nur kurze Zeit und waren eher unbedeutend. Bis ins Jahr 1930 gab es burgenlandweit nur vereinzelte Parteistützpunkte, so erreichte die NSDAP bei ihrem ersten Wahlantritt bei der Landtagswahl 1930 auch nur 0,7 % der Stimmen. Daraufhin versuchte die Partei ihre Aktivität zu verstärken, jedoch war die NSPAP vor allem im Bezirk Oberpullendorf bis 1933 noch sehr schwach organisiert. Die Partei hatte Probleme, sich in den ungarischen und kroatischen Gemeinden des Burgenlandes zu etablieren. Im Jahr 1932 konnten im Bezirk Oberpullendorf ungefähr 200 Mitglieder der NSDAP gezählt werden. Im Sommer 1932 trat im Burgenland die SA erstmals öffentlich auf. Diese Organisation hatte im Bezirk Oberpullendorf in diesem Jahr 168 Mitglieder. Ebenso gab es im August desselben Jahres erste Hinweise auf die SS im Burgenland. Oberpullendorf zählte mit dem Bezirk Oberwart zum SS-Sturm Mitte.
Oberpullendorf, rechts vom Hauptplatz (Sammlung Norbert Ernst Boda)
Joseph Haydn-Schule – Zentrum der NSDAP
Joseph Haydn-Schule – Zentrum der NSDAP
Obwohl sich die NSDAP in den frühen 1930er-Jahren im magyarisch geprägten Oberpullendorf kaum durchsetzen konnte, gab es dennoch ein Zentrum im Ort – die 1929 fertig gestellte Schule. Sie wurde nicht zufällig gewählt, denn 1932 kam es nach der Ausschreibung einer Planstelle zu einem Konflikt in der Schule, da diese Stelle auf einen Nationalsozialisten zugeschnitten war. Als Stellenanwärter sich darüber informieren wollte, bestätigte der damalige Landtag, dass es sich in Oberpullendorf um eine nationalsozialistische Kaderschule handelte.
Joseph Haydn-Schule (Sammlung Norbert Ernst Boda)
Hitlerjugend (HJ)
Hitlerjugend (HJ)
1922 gründete die NSDAP die Hitlerjugend (HJ) in Deutschland. In ihr sollten die jungen Burschen im Alter von 14 bis 18 Jahren Kameradschaft und Abenteuer finden und im Sinne der NS-Ideologie geschult werden. In Österreich war die HJ bis zum sogenannten „Anschluss“ im März 1938 wie auch die NSDAP verboten. Dennoch gab es im Burgenland in einigen Ortschaften bereits vor dem „Anschluss“ Jugendgruppierungen. So auch in Oberpullendorf, denn im November 1937 mussten sich 41 Burschen aus dem Ort dem Landesgericht in Wien stellen, da sie der damals noch illegalen HJ angehörten. Ab 1939 wurde die sogenannte „Jugenddienstordnung“ angepasst und von nun an waren alle Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren dem Dienst in der HJ verpflichtet. Im Kreis Oberpullendorf gab es 1938 14 Gefolgschaften, die HJ in Oberpullendorf gehörte der Gefolgschaft 12 an. Diese Gefolgschaften wurden weiter in Stämme zusammengefasst. Oberpullendorf gehörte zum Stamm III mit den umliegenden Gemeinden der Gefolgschaften 11 und 13. Die höchste Dienststelle war der Bann 515 in Oberpullendorf, der dem Gebiet 28 (Niederdonau) unterstellt war.
Kreisleiter Paul Kiss
Kreisleiter Paul Kiss
Der am 17. Oktober 1894 in St. Martin geborene Paul Kiss nahm als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil. 1923 trat er der sozialdemokratischen Partei bei und war von 1924 bis 1934 im Gemeinderat in St. Martin tätig. In dieser Funktion nahm er sogar an einem Schulungskurs teil, der die gezielte Abwehr und Argumentation gegen die NS-Propaganda zum Thema hatte. Kiss gab in seinem dem Gerichtsakt beiliegenden Lebenslauf an, dass er sich mit dem NS-Gedankengut durch das Hören von Radiosendungen identifizierte. So baute er 1934 mit illegalen Parteigängern eine illegale nationalsozialistische Betriebszellenorganisation in St. Martin auf. Der damalige Gauleiter Portschy ernannte ihn zum Bezirksorganisationsleiter, in dieser Funktion organisierte er den Aufbau der NSDAP des Bezirkes Oberpullendorf. Bis zum sogenannten Anschluss wurde er zweimal wegen illegaler nationalsozialistischer Betätigung inhaftiert, baute aber den Mitgliederstamm bis März 1938 auf 2.000 Personen auf. Kiss hielt sich während des „Anschlusses“ in Oberpullendorf auf, von wo er die Befehle und Weisungen der Gauleitung befolgte und somit die Machtübernahme der Nationalsozialisten unterstützte. Demzufolge erhielt er eine Mitgliedsnummer der NSDAP, die für jene „Illegalen“ bestimmt war, die bereits vor dem sogenannten Anschluss „die Voraussetzung zu der Entwicklung des 11. März 1938 geschaffen habe[n].“ In den Jahren 1938 bis 1945 war Kiss als Kreisleiter von Oberpullendorf tätig. Nach Kriegsende musste er sich vor dem Volksgericht verantworten, das ihn wegen Hochverrats und Kriegsverbrechen für schuldig bekannte. 1948 wurde er unter Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechts zu zehn Jahren Haft, Vermögensverfall sowie zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens und des Strafvollzugs verurteilt. 1961 starb Paul Kiss.
"Anschluss"
"Anschluss"
Als im März 1938 "Anschlusskundgebungen" der Nationalsozialisten abgehalten wurden, setzte die NSDAP auch ungarisch- bzw. kroatischsprachige Parteiredner ein, um die Minderheiten mit ihren Reden zu erreichen. Vor allem die Hetzparolen gegen „Zigeuner“ sowie Juden fanden in der ungarischsprachigen Bevölkerung Anklang und die NSDAP konnte immer mehr Mitglieder aus dieser Bevölkerungsgruppe zählen.
Als Hitler Ende Mai 1938 die „Neugliederung der Ostmark“ verkündigte, wurden der Bezirk Oberpullendorf sowie die Bezirke Mattersburg, Eisenstadt und Neusiedl am See dem Gau Niederdonau zugeteilt, die südlichen Bezirke dem Gau Steiermark. Der Verwaltungsbezirk Oberpullendorf wurde um den Gerichtsbezirk Kirchschlag erweitert.
Das NS-Regime erklärte den 1. Mai zum „Tag der nationalen Arbeit“ und somit zum gesetzlichen Staatsfeiertag bei voller Lohnfortzahlung. Damit konnte das Regime eine lang gehegte Forderung der Arbeiterbewegung erfüllen. Dieser Tag wurde in allen burgenländischen Gemeinden groß gefeiert. So auch in Oberpullendorf, als der Tag um fünf Uhr morgens mit einem Weckruf startete und NS-Formationen, die SA, die HJ und der BDM in einem Festzug zum Dorfplatz zogen, wo ein Maibaum aufgestellt war. Auf diesem Platz dröhnte aus Lautsprechern die Übertragung der Rede Adolf Hitlers, danach folgten Gesänge, Tänze und eine Tanzunterhaltung sowie Festreden der politischen Persönlichkeiten des Ortes.
Sicherheitsdienst-Außenstelle
Sicherheitsdienst-Außenstelle
In Oberpullendorf bestand eine Sicherheitsdienst-Außenstelle, die der SD-Hauptaußenstelle Eisenstadt unterstand. Ihre Aufgaben lagen darin, politische Gegner zu überwachen sowie auch zur „Lösung der Judenfrage“ (Deportation der Jüdinnen und Juden) beizutragen. Bereits im Jahr 1938 begann man mit dem Aufbau dieser Sicherheitsdienststellen im Burgenland. Mit haupt- und nebenberuflichen Mitarbeitern begann man Spitzel in bestimmten Berufsgruppen (Lehrer, Ärzte, Postboten, Rauchfangkehrer usw.) anzuwerben, die auch als V-Männer (Vertrauensmänner) bezeichnet wurden. Diese wurden dazu aufgefordert, „Stimmungsberichte“ aus ihrem Umfeld zu liefern und vor allem ehemalige Funktionäre und Politiker der Sozialdemokraten und Kommunisten zu überwachen.
Die SD-Außenstelle Oberpullendorf existierte bis März 1945, als der letzte Leiter der SD-Hauptaußenstelle in Eisenstadt den Befehl gab, belastendes Material zu vernichten.
Quellen
Verwendete Literatur
Pia Bayer / Dieter Szorger: Die Machtergreifung der Nationalsozialisten. In: Pia Bayer / Dieter Szorger: Der Weg zum Anschluss. Burgenlandschicksal 1928-1938 (= Bgld. Forschungen, Bd. 125), Eisenstadt: 2008, 72f.
Herbert Brettl: Nationalsozialismus im Burgenland. Opfer. Täter. Gegner. Innsbruck, Wien [u.a.]: 2013, 2. Auflage, 38-111.
Martin Farkas: Nationalsozialistisches Schulwesen im Burgenland am Beispiel der Schulen in Stoob und Lutzmannsburg. Diplomarbeit Universität Wien: 2016, 97.
Michael Floiger: Die burgenländischen Nationalsozialisten. Online unter: http://www.atlas-burgenland.at/index.php?option=com_content&view=article&id=219&Itemid=139 [letzter Abruf: 19.8.2020].
Adi Lang: NS-Regime, Kriegsende und russische Besatzungszeit im Südburgenland. Oberwart: 2011, 2. Auflage, 92-95.
Susanne Uslu-Pauer / Eva Holpfer: Vor dem Volksgricht. Verfahren gegen burgenländische NS-Täter 1945-1955. (= Bgld. Forschungen Bd. 96), Eisenstadt: 2008, 61-64.